Nur Tage vor der endgültigen Demontage seiner Nachfolgerin liegt der frühere SPD-Vorsitzende Gerhard Schröder Zeitung lesend auf einer grünen Chaiselongue in der Turmsuite des Zürcher Hotels „Dolder Grand“. Er posiert dort für ein Interview mit einer Schweizer Illustrierten. Ein entspannter Ex-Kanzler, hoch überm See bei Zitronenwasser und Klaviermusik. Und unter ihm, sehr weit, weit weg liegen die Trümmer seiner Partei. Und die zerbrochenen Träume seiner Genossen.
Er macht das richtig, der Alte. Er macht jetzt, was Youtuber unter „Mirdochegal“ hashtaggen würden. Schröder hat Nahles vor Jahren gezeigt, wie man mit Genossen umgehen muss, er ist mit ihnen fertig. Er hat die Plünnen geschmissen, als sie ihm nicht folgen wollte. Nahles nicht, und nicht die Partei. Er hat nach sieben Jahren erfolgreichen Regierens erst die Vertrauensfrage gestellt, dann den Job zurückgegeben. Er hatte Klarheit gewollt, er bekam sie. Genau so hat es nun seine Nachfolgerin gemacht. Sie sollte sich jetzt eine Chaiselongue mit Seeblick suchen. Die Eifel hat sehr schöne Ecken.
Rücktrittserklärung von Andrea Nahles 10.54 UhrDie Zeit der SPD ist um
Denn diese Partei, keine Frage, war nicht mehr zu retten. Und sie hat es auch nicht verdient, noch einmal gerettet zu werden. Zu viele Fehler, zu wenig Wärmestrom. Zu viele Würstchen, zu wenig Senf. Die Zeit der SPD ist um. Und das ist keine Tragödie. Alles hat seine Zeit. Nur haben die Genossen im Mittelbau das vielleicht noch nicht begriffen.
Sie haben stattdessen Andrea Nahles noch einmal ritualgetreu abgestraft und gedemütigt. Denn die Sozialdemokratische Partei heutigen Zuschnitts und unter Nahles‘ Führung kennt kein Pardon. Sie kennt keine stille Loyalität, keine großherzige Solidarität. Sie hat keine Willy Brandts mehr in ihren Reihen, keine Helmut Schmidts, keine Geistesriesen, keine Charismatiker.
Ein paar Gefallsüchtige gibt es, klar, mit Hand in der Hosentasche. Ein paar Originale, das stimmt. Ralf Stegner, Karl Lauterbach, Impuls-Martin, Stänker-Sigmar und den frechen Kevin. Es gibt tüchtige Ministerinnen, die Giffey, die Barley, es gibt die hoch angesehene Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz, Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern und Stephan Weil in Niedersachsen. Aber haben die das Sagen in der Partei? Natürlich nicht! In ihr geben die aus der zweiten Reihe den Ton an. Und werfen denen, die im Wind stehen, das Gesicht hinhalten, die Scherben zusammenkehren, wieder und wieder vor, dass sie das Gesicht hinhalten, den Wind nicht einfangen und die Scherben falsch zusammenkleben. Nahles hätte schon vor Monaten sagen sollen: „Wir sollten uns trennen, SPD. Wir können ja Freunde bleiben.“
Nahles Rücktritt 10.05 UhrJetzt werfen Zwerge Schatten
Andrea Nahles komme „mit ihrer Art“ nun mal beim Wahlvolk nicht an, hieß es in einer bitteren Abrechnung der Fraktion aus dem Munde von Doktor Sascha Raabe. Von wem? Ja, gut, Nahles ist keine evangelische Pfarrerstochter. Sie hat das Temperament einer effizienten Landmaschine und an ihren rhetorischen Flegeleien hätte sie gut mal arbeiten können. Aber ein „Du bist ein A…..“ wie Martin Schulz neulich gegen einen Parteifreund ausrief, ist ihr nie rausgerutscht. Und einen Stinkefinger wie Sigmar Gabriel und Peer Steinbrück ihn zeigten, den hat sie auch nie hingehalten.
Sie solle endlich zurücktreten, schrieb Michael Groß. Groß, wer? Und was bitte hat man von Kritikern wie Florian Post (Bayern) und Achim Post (NRW) je Großartiges gehört oder gelesen, außer dass sie Nahles kritisieren? Wer kam auf die Idee, dass Natascha Kohnen Ministerpräsidentin werden könnte – eine Frau, die sicher eine Grundschule führen könnte – aber doch nicht Bayern! Es heißt: Wenn die Sonne tief steht, werfen selbst Zwerge Schatten. So gesehen ist die SPD zu Wichtelhausen geschrumpft.Nahles Rücktritt 12.09 Uhr
Dass die Partei ihre Vorsitzenden traditionell schlecht behandelt, das ist eine Binse. Brandt, Scharping, Schröder, Müntefering, Beck, Gabriel, Schulz. Viel Feind, wenig Ehr’. Es gehört einfach zur Tradition der Traditionspartei, die Vordersassen zu demontieren, die können nicht anders. Andrea Nahles wusste das natürlich, als sie antrat. Sie hat in ihrem Leben gekämpft, gesiegt, verloren und sie ist wieder aufgestanden. Sie hat ein Ministerium geführt. Sie hat Lager geeint und Wunden geheilt, sie hat mitregiert. Manches ging gut, anderes schief. „Man hat sich bemüht“, sagte Willy Brandt einst.
Andrea Nahles und die alte Cowboy-Weisheit
Man kann im Rückblick wohl sagen, Schröders Zündschnur war um einiges kürzer als die seiner duldungsstarken Enkelin. Nur eine einzige verlorene Landtagswahl (NRW) und das Genöle seiner Genossen an der Hartzreform hatten ihn bereits an die dünnen Enden seiner Nerven geführt und die Regierungsmacht aufs Spiel setzen lassen. Es war ein Kurzschluss. Er wollte die Gefolgschaft der Partei – und er bekam eine Abfuhr.
Bei Nahles war die Sache anders, weitreichender. Denn es ist inzwischen unwichtig, wer die Partei führt und ob sie ihre Anführer liebt. Es ist schlicht egal, ob es die SPD noch gibt oder ob es sie nicht mehr gibt. Sie selbst bekam die Abfuhr peu à peu vom Volk. Jahr um Jahr. Wahl um Wahl.
Andrea Nahles ist Hobbyreiterin. Vielleicht erinnerte sie sich gerade an die alte Cowboy-Weisheit: „Wenn Dein Pferd tot ist, steig‘ ab!“
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