Seriös und führungserfahren – mit diesem Image arbeitet der SPD-Mann Olaf Scholz an seinem Wahlsieg. Seine Kritiker aber werfen ihm Versagen und Klüngelei bei Wirecard, Cum-Ex, G20 und mangelnden Kampf gegen Geldwäsche vor. Was stimmt? Und welchen Vorwurf konnte er ausräumen? Ein Überblick
Olaf Scholz und der Cum-Ex-Banker
Das Cum-Ex-Verbrechen – der Raub von vielen Milliarden Euro an Steuermitteln durch illegale Aktiengeschäfte – hat viele Täter. Dass es möglich wurde, haben Bundesregierungen zu verantworten, die es schon lange nicht mehr gibt. Ein Ausschnitt dieses Skandals jedoch spielt in Hamburg und wirkt bis heute nach. Dort wollte das Finanzamt in den Jahren 2016 und 2017 der in der Hansestadt ansässigen Warburg-Bank gestatten, viele Millionen Euro zu behalten, die zu Unrecht erstattet worden waren. Verhindert wurde das 2017 schließlich durch eine Weisung des Bundesfinanzministeriums (eine ausführliche Darstellung der Zusammenhänge finden Sie hier).
Olaf Scholz war zu jener Zeit Bürgermeister von Hamburg. Und er hat sich damals mehrfach mit dem mutmaßlichen Täter, dem damaligen Chef der Warburg-Bank Christian Olearius, getroffen. Das belegt der Kalender von Scholz, er hat es selbst bestätigt, so ist es auch im Tagebuch von Olearius nachzulesen. Dem Banker, so haben es seine Anwälte im Untersuchungsausschuss gesagt, ging es bei diesen Treffen darum, mithilfe des Bürgermeisters Rückforderungen von der Bank abzuwenden. Die Hamburger Behörden wussten um den Cum-Ex-Verdacht gegen Warburg, Scholz hatte vor den Treffen mit Olearius mit Fachleuten seiner Verwaltung darüber gesprochen. Bekannt war auch, dass es bereits eine Durchsuchung in der Bank gegeben hatte. Scholz traf sich dennoch mit dem Banker.
Olearius brachte ein Schreiben mit seiner Sicht der Dinge zu einem der Treffen mit. Scholz selbst habe gesagt, er solle es kommentarlos an den damaligen Finanzsenator und heutigen SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher schicken. Mit diesem Rat hat Scholz Olearius extra noch einmal angerufen.
Die Frage, mit der sich der Untersuchungsausschuss beschäftigt, ist nun: Gab es im Fall Warburg eine politische Einflussnahme auf das Handeln des Finanzamts? Scholz weist das zurück. Er habe Olearius nur auf den Dienstweg verwiesen. Im Übrigen, so sagte Scholz es im Ausschuss, habe er praktisch keinerlei Erinnerung mehr an die Gespräche mit Olearius.
Ist das glaubwürdig? Immerhin traf Scholz einen Banker, der Erträge aus mutmaßlich kriminellen Geschäften sichern wollte, von denen Scholz damals wusste. Ein Beweis, dass es eine Einflussnahme gab, ist bislang nicht gefunden worden. Es gibt aber viele Indizien, die mindestens Fragen aufwerfen: Der Finanzsenator gab das Olearius-Schreiben damals mit Randnotizen an seine Untergebenen weiter, die zumindest die Bedeutung des Vorgangs betont haben. Die Untergebenen hatten schon Argumente für eine Entscheidung gegen die Bank zusammengetragen, vertraten diese Position aber nicht gegenüber dem zuständigen Finanzamt, das in der Sache zu entscheiden hatte. Das Finanzamt traf schließlich die Bank-freundliche Entscheidung, wohl auch unter dem Eindruck, die Bank könne durch einen gegenteiligen Beschluss in ihrer Existenz gefährdet sein.
Letztlich kamen die Hamburger Finanzbehörden dem Cum-Ex-Banker sehr weit entgegen, weiter, als es in ähnlichen Fällen in anderen Bundesländern gehandhabt wurde. Weiter auch, als es das Bundesfinanzministerium schließlich zuließ.
Am vergangenen Freitag (10.9.) berichtete die WirtschaftsWoche, das inzwischen von Olaf Scholz angeführte Bundesfinanzministerium habe dafür gesorgt, dass das Protokoll einer Sitzung des Finanzausschusses des Bundestags weiterhin gesperrt bleibt – obwohl die Mehrheit der Ausschussmitglieder es veröffentlicht sehen will. Es geht darin um die Sitzung vom 1. Juli 2020, in der Scholz zum Cum-Ex-Skandal befragt worden war. Warum sich der Minister sperrt, der von sich selbst sagt, er habe sich nichts vorzuwerfen, ist nicht klar.
(Karsten Polke-Majewski)
Geblendet von Wirecard
Der Fall Wirecard geht als wohl größter Finanzskandal in die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ein. Der frühere Dax-Konzern hatte im Juni 2020 eingeräumt, dass es für die Existenz von 1,9 Milliarden Euro an vermeintlichen Firmengeldern keine Nachweise gibt, und meldete Insolvenz an. Zahlreiche Anleger und Anlegerinnen verloren ihre Ersparnisse. Die Staatsanwaltschaft wirft mehreren früheren Managern des Unternehmens gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Bilanzfälschung und Marktmanipulation vor. Die Flucht des früheren Vorstands Jan Marsalek erregte international Aufsehen, er wird weiterhin gesucht.
Während die strafrechtliche Aufarbeitung noch andauert, hat im Bundestag ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss die politische Dimension des Skandals aufgearbeitet. Dabei geht es vor allem um die Frage, warum der mutmaßliche Betrug nicht früher aufgefallen ist. Zahlreiche Zeugenbefragungen im Parlament haben gezeigt, wie schamlos Lobbyisten teilweise bis ins Kanzleramt hinein für den Finanzdienstleister warben, wie Wirtschaftsprüfer dem Unternehmen jahrelang eine saubere Bilanz bescheinigten und wie Aufsichtsbehörden wegschauten. Im Fall Wirecard, so schien es oft, hat sich ein ganzes Land selbst betrogen.
Die politische Hauptverantwortung in dem Bilanzskandal sieht vor allem die Opposition bei Olaf Scholz. Schließlich hat sein Ministerium die Aufsicht über die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht. Jene Behörde also, die Wirecard wie andere Finanzunternehmen auch kontrollieren sollte und viel zu spät aktiv geworden ist. Schlimmer noch: Statt den Vorwürfen gegen den Konzern nachzugehen, vermutete die Finanzaufsicht zunächst eine angebliche Verschwörung gegen einen neuen, deutschen Champion. Scholz verteidigte die BaFin immer wieder. Erst spät, als der Druck zunahm, entließ er Behördenchef Felix Hufeld. Doch da war bereits viel Glaubwürdigkeit verloren gegangen.
Der Fall gilt als zu komplex, um Scholz im Wahlkampf gefährlich zu werden. Klar ist aber: Auch der Finanzminister hat sich von Wirecard blenden lassen und wirkte in dem Fall teilweise zögerlich, ließ Konsequenz vermissen, schien zuweilen gar aufklärungsunwillig. Immerhin kann Scholz im Wahlkampf darauf verweisen, dass er aus dem Wirecard-Skandal gelernt und ein Gesetz auf den Weg gebracht hat, das die Befugnisse der BaFin stärkt und die Vorschriften für Abschlussprüfer verschärft. Und zur Wahrheit gehört auch: Die Opposition hat dem Finanzminister im Untersuchungsausschuss kein direktes persönliches Fehlverhalten nachweisen können.
(Jurik Caspar Iser)
Sicherheitsversagen bei G20
Am 7. und 8. Juli 2017 trafen sich in Hamburg die Chefs der größten und wichtigsten Staaten zum G20-Gipfel, als Stargast wurde erstmals der neue US-Präsident Donald Trump erwartet. Schon Monate vorher waren Linksextreme in halb Europa herumgereist und hatten zu Protesten mobilisiert. Tausende Gewaltbereite wurden erwartet, die ihre Ziele nicht verheimlichten: Sie wollten den Gipfel lahmlegen. In der Stadt breitete sich Sorge aus, viele Bürgerinnen und Bürger verreisten – aber der damalige Bürgermeister Olaf Scholz gab sich (wie auch die Polizei) extrem selbstgewiss: Der Gipfel sei eine wunderbare Sache und die Bürger könnten beruhigt sein, schließlich organisiere Hamburg ja auch jedes Jahr den großen Hafengeburtstag. Auf die Frage, ob er die Sicherheit in der Stadt garantieren könne, sagte er in einem Interview: „Seien Sie unbesorgt, wir können die Sicherheit garantieren.“
Diese unnötig großspurigen Aussagen wurden ihm zum Verhängnis, als die ersten Rauchschwaden über Hamburg zogen. Ein schwarz vermummter Block marschierte marodierend durch den Stadtteil Altona und zündete reihenweise Autos an, darunter auch Kleinwagen von Pflegekräften. Am Freitagabend verschanzten sich dann mehr als 1.000 Autonome im Schanzenviertel. Die Feuerwehr kam nicht mehr durch, um brennende Barrikaden zu löschen, Läden wurden geplündert, Anwohner riefen in Panik vergeblich den Notruf an. Auch die Polizei traute sich über Stunden nicht in das Viertel, weil Vermummte sie von Dächern und einem Baugerüst herab mit Gehwegplatten, Böllern und womöglich auch Molotowcocktails bewarfen. Erst der Einsatz mehrerer Spezialkommandos mit Gewehren und Laser-Zieleinrichtungen im Anschlag beendete den Spuk schließlich. Die live im Fernsehen übertragenen Bilder waren verheerend. Auch die des bleichen Olaf Scholz, der aus den Katakomben der Elbphilharmonie die Randalierer aufrief, „mit ihrem Tun aufzuhören und sich zurückzuziehen“. Selten wirkte er so hilflos.
Nach dem Gipfel mussten seine Vertrauten lange auf Scholz einreden – bis er sich in der Bürgerschaft dann doch bei den Hamburgern dafür entschuldigte, dass er die öffentliche Sicherheit nicht überall hatte garantieren können. Später sagte er, dass er von seinem Bürgermeisteramt zurückgetreten wäre, wenn es beim Gipfel Tote gegeben hätte. Dass es so weit nicht kam, war Glück.
Bei vielen Hamburgerinnen und Hamburgern hat Scholz in diesen Tagen viel Vertrauen eingebüßt. Sein Hang, den starken Mann darzustellen, der immer alles im Griff hat, wurde ihm in diesem Fall zum Verhängnis. Mit seinen Fehlern beim G20-Gipfel hat er seinen Markenkern beschädigt, der unter anderem daraus besteht, ganz seriös immer nur das zu versprechen, was er halten kann.
(Mark Widmann)
Razzia im Bundesfinanzministerium
In der vergangenen Woche hat die Staatsanwaltschaft Osnabrück neben dem Bundesjustizministerium auch das Bundesfinanzministerium durchsucht. Ein ungewöhnlicher Vorgang – denn die Ermittlungen richten sich nicht gegen Mitarbeitende der Ministerien, auch nicht gegen Olaf Scholz, vielmehr geht es um eine dem Zoll unterstellte Spezialeinheit, die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (Financial Intelligence Unit/FIU).
Hintergrund ist ein Strafverfahren
gegen Beamte der FIU. Bei dieser bundesweit zuständigen Stelle melden etwa Banken, Notare, Steuerberater und viele Weitere Verdachtsfälle von möglicher Geldwäsche. Die Beamten der Einheit sichten und prüfen die Meldungen und leiten die Fälle dann an die Strafverfolgungsbehörden weiter. Konkret ging es bei der Razzia im Bundesfinanzministerium um einen Fall aus dem Jahr 2018, bei dem einer Bank eine Millionenzahlung nach Afrika verdächtig vorkam und sie wegen vermuteter Geldwäsche, Waffen- und Drogenhandel und sogar Terrorismusfinanzierung an die FIU meldete. Die FIU nahm den Fall auch zur Kenntnis, leitete diesen aber nicht an die Strafermittlungsbehörden weiter.
Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelt seit 2020 in diesem Fall und nimmt an, dass sich Beamte der FIU der Strafvereitelung im Amt schuldig gemacht haben könnten. Die Razzia im Scholz-Ministerium sollte laut Staatsanwaltschaft dazu dienen, den Fall und individuelle Verantwortlichkeiten von FIU-Beamten weiter aufzuklären. Die Staatsanwaltschaft Osnabrück hätte auch ein Auskunftsersuchen über den offiziellen Dienstweg stellen können – das tat sie aber nicht. Sie ließ sich vom Amtsgericht einen Durchsuchungsbeschluss ausstellen und informierte die Bundesministerien vorher nicht.
Die aufgeschreckten Wahlkämpfer der SPD kritisieren nun, dass die Ermittlungsbehörde mit dem Durchsuchungsbeschluss suggeriert habe, dass das Ministerium nicht zur Kooperation mit den Strafverfolgern bereit gewesen wäre, dass dort gar Dokumente vernichtet worden wären. Außerdem sei der ermittelnde Osnabrücker Staatsanwalt ein CDU-Parteimitglied und die Staatsanwälte handelten mit Niedersachsens
Justizministerin Barbara Havliza (CDU) im Rücken. Der Durchsuchungsbeschluss war außerdem schon einen Monat alt – die Razzia wurde aber erst zweieinhalb Wochen vor der Bundestagswahl durchgeführt.
Olaf Scholz selbst hat mit der FIU nur so viel zu tun, als dass sie als quasi nachgelagerte Behörde dem Zoll unterstellt ist und unter dem Dach des Bundesfinanzministeriums steht. Der Finanzminister hat aber nur die Rechtsaufsicht und nicht die Fachaufsicht, er hat damit keine inhaltliche Einsicht in die Verdachtsfälle, welche bei der FIU gemeldet werden, und darf auch gar keinen inhaltlichen Einfluss nehmen.
Die Probleme bei der FIU – Schlamperei infolge von zu wenig Personal, fehlenden Kompetenzen und unklarer Struktur – sind schon aus der Zeit bekannt, in der die CDU das Bundesfinanzministerium innehatte und für die Finanzaufsicht zuständig war. 2017 überführte Wolfgang Schäuble (CDU) als damaliger Finanzminister die FIU vom Bundeskriminalamt zum Zoll. Das löste aber kaum Probleme. 2018, als Olaf Scholz und mit ihm die SPD das Ministerium übernahmen, wurde die FIU personell und auch mit Rechten besser ausgestattet. Der Ausbau läuft noch immer. Der Fall, in dem die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelt, ereignete sich im Juni 2018 – also nur kurz nachdem die SPD das Finanzministerium übernommen hatte, bei der FIU Verbesserungen aber noch nicht wirksam wurden.
Unionskanzlerkandidat Armin Laschet wirft seinem Kontrahenten Scholz daher im Zusammenhang mit der Razzia etwas anderes vor: Der SPD-Minister habe „abfällig“ über die Justiz gesprochen, als er vor Fernsehkameras darauf verwies, dass ihn der Durchsuchungsbeschluss irritiere, sagte Laschet im Triell am Sonntagabend. Das sei „unangemessen“ gewesen.
(Tina Groll)
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