Kaum ein Wort löst die Spannung, nur Schritte und das Atmen unter dem schweren Marschgepäck der Soldaten stören die Stille. Plötzlich Schüsse. Der Gegner hat die zwölf Kampfschwimmer bei der Annäherung an ihr Zielobjekt entdeckt. In kleinen Gruppen gehen die Soldaten in Deckung und wehren sich mit heftigen Feuerstößen. Rauchbomben bilden eine Wand aus weißem Nebel, die dem Gegner die Sicht nehmen soll. Die Männer geben sich gegenseitig Feuerschutz und setzen sich in ein kleines Waldstück ab.
„Auffanglinie ist die Waldkante“, bellt es in den Funk. „Alpha rechts, Bravo links.“ Sichern und Rückwärtsbewegung wechseln sich ab. Der Funker hat da schon seine TIC-Meldung abgesetzt: Troops in Contact, Soldaten mit Feindkontakt. Bei einem echten Einsatz wäre nun Alarm. Doch der Feuerkampf der Spezialkräfte auf dem Standortübungsplatz Christianshöh an der deutschen Ostseeküste ist ein Training für den nächsten Einsatz, der die Soldaten nach Niger in Westafrika führen wird.
Dort bilden deutsche Kampfschwimmer nigrische Spezialkräfte für Einsätze gegen islamistische Terroristen und kriminelle Banden aus. Der Auftrag läuft als „Operation Gazelle“ und hat schon einmal Schlagzeilen gemacht, weil es auf der politischen Bühne in Berlin Streit um die Frage gab, ob für die Ausbildungshilfe, bei der keine Beteiligung an Kampfhandlungen vorgesehen ist, ein Bundestagsmandat erforderlich ist.
Ähnlichkeiten mit den Navy Seals in den USA
Kampfschwimmer in der Wüste? Man muss das Aufgabenspektrum dieser Soldaten verstehen, um diesen scheinbaren Widerspruch aufzulösen. Die Spezialisierung auf das feuchte Element dient nur der Anreise in das Einsatzgebiet, das – wie bei den militärischen Partnern der US Navy Seals („Sea, Air, Land“) – in Siedlungen, im Gebirge, in einem Wald oder eben in einer Wüste liegen kann.
Grob gesagt die Hälfte der Menschheit lebt in küstennahen Gebieten, die strategisch überaus wichtig sind. Und in den Seegebieten davor kann man sich politisch weitgehend unproblematisch bewegen oder eben für Einsätze bereithalten. Die Befreiung deutscher Geiseln und eine „robuste Evakuierung“ aus einem Krisengebiet gegen bewaffneten Widerstand können zu den Aufträgen gehören. Oder das Entern von Schiffen gegen Widerstand, um Piraten zu stellen und Verschleppte in Sicherheit zu bringen.
Auch die Festnahme Gesuchter – sogenannte High Value Targets – zur Vernehmung oder Strafverfolgung ist so ein Szenario. Außerdem „Spezialaufklärung“, die Informationen aus Satellitenaufnahmen mit einem verdeckten Besuch am Ort des Geschehens überprüft und ergänzt. Zudem können die Kommandosoldaten im Ernstfall gegen Einzelziele eingesetzt werden – zur Sabotage oder Zerstörung von Anlagen und Infrastruktur eines Gegners.
Eckernförde ist der Heimathafen der Kampfschwimmer der Bundeswehr
Die Kampfschwimmer sind die älteste Spezialeinheit der Bundeswehr. Das Kommando Spezialkräfte der Marine (KSM) hat seine Heimat im Marinestützpunkt Eckernförde, direkt an der Ostsee. Die Ausbildung dauert drei Jahre und steht – eine Besonderheit – auch Zivilisten ohne militärische Vorbildung offen. Die Auslese ist hart. Es gibt weniger als 100 Kampfschwimmer in der Bundeswehr, darunter aber auch Ältere in Stäben vom Einsatzführungskommando in Potsdam bis hin zum Verteidigungsministerium im Berliner Bendlerblock.
Ein Höhepunkt der Ausbildung: der drei Wochen dauernde Überlebenslehrgang, bei dem sich die Anwärter mit selbstgebauter Ausrüstung und von Verfolgern bedrängt über eine weite Strecke durchschlagen müssen. Abschluss des Lehrgangs ist ein 36-stündiges Verhör. Es ist eine der härtesten Ausbildungen überhaupt in der Bundeswehr und geht nah an die Grenze dessen, was man in einem freiheitlich-demokratischen Staat Bürgern in Uniform zumuten kann. Weibliche Anwärter sind explizit gewünscht. Vor einigen Jahren ist eine Frau angetreten, hat aber nach einer Woche aus freien Stücken verzichtet. Jedes Jahr werden fünf bis sechs Kampfschwimmer ernannt. Um alle Stellen besetzen zu können, müssten es mehr sein.
Knapp 20 Leute sind dann ein „Einsatztrupp“. Je vier Leute sind ein „Fireteam“. Immer in einem Einsatz dabei sind ein Teamführer, ein Funker, ein Sanitäter. Wie das Team genau weiter bestückt wird, hängt von der Aufgabe ab. Auch ein Atomwissenschaftler könnte mit am Haken eines Fallschirms hängen. Dann wäre der Auftrag, eine verdächtige Anlage im Ausland „aufzuklären“. Es könnten auch Ärzte im Team sein, Sprachmittler für eine Vernehmung oder Experten für eine Beweissicherung.
Die Öffentlichkeit erfährt nur selten etwas über diese Bundeswehr-Einsätze
Öffentlich wird über Einsätze von Spezialkräften wenig bekannt. Das war vor gut zehn Jahren anders, als Piraten den deutschen Frachter „Hansa Stavanger“ entführt hatten. Der Befreiungseinsatz wurde letztlich abgebrochen – wegen der Gefahr eines Scheiterns, aber auch nach einem Kompetenzgerangel in der Bundesregierung, ob die GSG 9 der Bundespolizei oder die Kampfschwimmer die Aufgabe übernehmen sollten.
In einem Marine-Jahrbuch aus dem Jahr 2013 wird der Fall beschrieben: Am 5. April 2009 wurden alle Angehörigen des 1. Kampfschwimmereinsatzteams aus ganz Deutschland nach Eckernförde berufen. Eiliges Packen, Munition, Waffen, Ausrüstung. Die Kampfschwimmer waren schon in Wüstentarnkleidung in der Luft, darunter Neopren-Tauchanzüge, Flossen an den Füßen. „Wir haben die Freigabe, we are going hot“, sagte der Pilot über Lautsprecher. „Die über die vergangenen zwei Tage aufgebaute Spannung entlud sich in einem Aufschrei durch die gesamte Maschine“, heißt es in dem Jahrbuch. Mit dem Fallschirm springen die Soldaten ins Wasser neben der Fregatte „Mecklenburg-Vorpommern“, kurz darauf sind sie an Bord. Doch dabei bleibt es auch – zu einer gewaltsamen Geiselbefreiung kommt es nicht mehr.
Stets ist das möglichst unerkannte Einsickern das Ziel der Kampfschwimmer. Wenn es schon bei der Annäherung zur Entdeckung kommt, ist etwas schiefgelaufen. „In solchen Situationen heißt es weg, weg, weg. Zur Not werden auch Teile der Ausrüstung abgeworfen. Mindestens 10 Kilo bleiben im sogenannten Daypack am Mann. Die Waffen sowieso“, sagt Kampfschwimmer Tilo Baier (38), der die Übung beim „Contact Drill“ auf dem Übungsplatz Christianshöh verfolgt.
„Männerspielzeuge“ wie Quads oder Fallschirme
„Das ist schon ein extrem cooler Job. Die Teamarbeit! Und dann: Man kann etwas Besonderes machen“, sagt er. „Ich dachte damals auch an die Geisellagen. Die muss doch jemand rausholen können, dachte ich. Dazu kommen die Männerspielzeuge. Quad, der Geländewagen Wolf, Fallschirmspringen.“ Ziel in Eckernförde: Man will binnen 30 Stunden an jeden Ort der Welt verlegbar sein.
Einige Fragen liegen auf der Hand: Haben Sie Angst oder Befürchtungen? „Wir schieben die Sorge mit Professionalität immer weiter zur Seite, weg von uns.“ Haben Sie sich mit dem Töten befasst? „Es geht hier um die Frage, ob der Einsatz an sich richtig ist. Ich gehe nicht in den Einsatz mit der Absicht, jemanden zu erschießen. Werden wir angegriffen, reagieren wir. Es ist wie eine Notwehrsituation.“ Und: „Ich selbst habe keinen Schuss abgefeuert, der töten sollte. Ich wehre mich und verarzte die Leute dann. So mache ich das mit mir aus.“
Dabei hat sich die Bedrohungslage geändert. KSM-Kommandeur Sven Rump spricht von einem mittlerweile sehr komplexen Umfeld. „Wir haben große Nationen, die in vielen Teilen dieser Welt als Konkurrenz zum Nato-Bündnis auftreten. Und wir haben sehr gut ausgerüstete internationale kriminelle Organisationen bis hin zu Terrororganisationen“, sagt er. „Drohnen zum Beispiel sind für jeden erhältlich und können mit ein bisschen Know-How zu ferngelenkten Waffen umgebaut werden. Man merkt schon, dass in den Netzwerken und Strukturen dahinter auch intelligente Leute sitzen“. Für das Ziel, Terror zu verbreiten, reiche es.
Bis Mitte der 20er Jahre soll sich die Zahl der Dienstposten im Kommando Spezialkräfte Marine etwa verdoppeln. „Wir rechnen also mit einem Aufwuchs bis zu ungefähr 600 Dienstposten. Die meisten sagen dann: Ihr habt doch jetzt schon Nachwuchssorgen. Ihr schafft leere Hülsen. Das ist nicht der Fall“, sagt Rump. Nötig seien die ganzen Unterstützungskräfte, die den Einsatz von Kampfschwimmern erst möglich machen.
Die Helfer im Hintergrund
Denn auf einen Kampfschwimmer kommen sieben weitere Spezialisten, darunter auch Frauen. Die Aufgabe ist technisch anspruchsvoll. Beispiel Medizin: Für Verletzung und Notfälle wird ein sogenanntes SOMS-Team („special operations medical support team“) bereitgehalten. Notfalls sollen sie sich mit Waffengewalt zu den Verletzten vorkämpfen. Ein Arzt, ein Rettungsassistent und zwei Notfallsanitäter stehen dafür bereit. Man kann die Behandlung von Schussverletzungen in Deutschland kaum üben. Deswegen gibt es Ausbildungskooperationen mit der US-Stadt Detroit sowie Krankenhäusern in Südafrika.
Und dann die letzten Kilometer der Anreise: Das Bootseinsatzteam („special boat team“) bringt die Kampfschwimmer in Festrumpfschlauchbooten mit mehr als 1000 PS Leistung zum Einsatz. Und in Eckernförde gehören 22 Experten zu einer Gruppe für Weiterentwicklung der Technik: Waffen, Fahrzeuge, Tauchgeräte, Unterwasserscooter – Geräte, die Taucher unter Wasser über weite Strecken ziehen können. Wie bei James Bond, heißt es scherzhaft: „Q“ hat immer eine technische Lösung parat.
Allein 30 verschiedene Waffen werden bei den Kampfschwimmern verwendet, wie die Soldaten sagen. Pro Woche könnten schon mal 10.000 Schuss Munition im Training verfeuert werden. Auf die Schießfertigkeiten wird großer Wert gelegt: Aus der Sicherheitsposition der Waffe vor der Brust sind Anlegen des Gewehrs, Entsichern und der erste Schuss praktisch eins. In nur 0,5 Sekunden ist das zu schaffen, wie die Kampfschwimmer vorführen können. Binnen zwei Sekunden sollte in der Nahdistanz auch der zweite Schuss sitzen – auf die Fläche eines Brustkorbs gerechnet.
Die Ausbildung ist fordernd, der Umgang in der kleinen Einheit wirkt aber sehr familiär. Spitznamen sind verbreitet, die Soldaten duzen sich über die Hierarchien hinweg. Von Skandalen blieben die Kampfschwimmer – anders als das mit mehreren Extremismusfällen ringende Kommando Spezialkräfte (KSK) des Heeres – verschont. Die Aufgaben sind vergleichbar.
„Wenn man mit Spezialkräften kommt, will man nicht mehr deeskalieren. Man will sich militärisch durchsetzen. Man will die Aufgabe schnell und chirurgisch erledigen, wo reguläre Streitkräfte noch nicht oder nicht mehr zum Einsatz kommen“, sagt Marine-Sprecher Bastian Fischborn. „Die Geheimhaltung soll verhindern, dass die eingesetzten Soldaten und ihre Schutzbefohlenen gefährdet werden.“
Aufträge mit politischer Dimension
Meist ist der Einsatz auch für Regierungsstellen brenzlig. „Einsätze von Spezialkräften haben immer eine hohe politische Bedeutung. Denn sie zeigen, dass es in einem anderen Land schlecht läuft und dass die Regierung dort die Lage nicht mehr selbst regeln kann. Oder der Staat hat nur noch eine Restautorität. Also muss einer Regierung immer bewusst sein, welches Signal sie mit dem Einsatz von Spezialkräften sendet, falls er öffentlich wird.“
Vor dem Fall des Eisernen Vorhangs gab es eine andere Doktrin. Ein Hauptauftrag im Kriegsfall war es damals, die Radarstationen in der DDR zu zerstören. Westdeutsche Tornado-Kampfflugzeuge sollten bei Angriffen auf das Gebiet des Warschauer Paktes eine halbe Stunden Vorsprung haben, in der sie nicht entdeckt werden. Die Kampfschwimmer hätten dafür mit möglichst wenigen Leuten möglichst viel kaputt machen sollen.
Damals ging man davon aus, dass Westdeutschland aus dem Osten ganz überrollt werden könnte. Die Kampfschwimmer wären in diesem Fall komplett nach Großbritannien verlegt worden und von dort aus wieder in die Heimat eingesickert. In Trupps von acht Mann hätten sie den Partisanenkampf gegen die Besatzer aufgenommen – in der Erwartung und Hoffnung, von der Bevölkerung gedeckt zu werden.
Schleswig-Holstein war damals ein Gebiet von großer strategischer Bedeutung, weil es für die Truppen des Warschauer Paktes der Landweg hin nach Dänemark war. Von dort aus kann man den Zugang zur Ostsee kontrollieren.
Kampfschwimmer gab es auch in der DDR
Auch die DDR hatte Kampfschwimmer, die in Kühlungsborn an der Ostsee stationiert waren. Nach der Wende kam ein Anruf von dort. Schließlich fuhren Kampfschwimmer aus Eckernförde über die innerdeutsche Grenze und trafen ihre bisherigen Gegner. Denen war eine legendäre Härte nachgesagt worden. Nach der Wende wurde aber klar, dass sie praktisch keine Ausrüstung hatten.
Bis zu 60 Kilogramm muss ein Mann heute in den Einsatz tragen. In der Hightechwelt ist einiges an Gewicht dazu gekommen. So die Brennstoffzelle „Jenny“. Sie soll den gestiegenen Strombedarf für Nachtsichtgeräte, Computer und Funkverbindungen liefern.
Die Technisierung bietet Chancen, wirft aber auch neue Fragen auf. Bisher hat ein Militärführer sich einen Auftrag abgeholt und ihn dann umgesetzt. Nun können die Führungsstäbe live dabei sein. Die Funkgeräte senden einen Geocode. Soldaten sind Punkte auf einer Landkarte. Vielleicht kreist auch eine Drohne am Himmel. Enorme Chancen bieten sich im Notfall. So können Ärzte bei Verwundungen live dazu geschaltet werden.
Auch die Versuchung, aus der Ferne in den laufenden Einsatz einzugreifen, kann größer werden, zumal an den Bildschirmen auch Profis sitzen, im Zweifel auch ein älterer Kampfschwimmer. Was sich nicht geändert hat, ist die Geheimhaltung. Öffentlich sprechen Regierung und Bundeswehr nicht darüber, wo die Spezialkräfte in den vergangenen Jahren genau im Einsatz waren. Der Bundestag wird nur „in vertraulicher Sitzung“ über diese Einsätze informiert.
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