Waffengewalt ist in New York an der Tagesordnung. Der neue Bürgermeister Eric Adams will deswegen nun eine alte Anti-Waffen-Polizeieinheit zurückholen. Doch sein Plan ist umstritten.
Ein Freitag im New Yorker Stadtteil Harlem. Über den Notruf bittet eine Frau um Hilfe. Sie wird in einer Wohnung von ihrem eigenen Sohn bedroht. Als die Polizeibeamten eintreffen, schießt der 47-jährige Sohn ohne Vorwarnung. Ein 22-jähriger Polizist stirbt noch am Tatort, sein fünf Jahr älterer Kollege erliegt den Schussverletzungen ein paar Tage später. Der Täter selbst wird schließlich von einem dritten Beamten erschossen.
Während der Corona-Pandemie hat die Waffengewalt in Amerikas Großstädten stark zugenommen. Allein im vergangenen Jahr wurden in New York nach Polizeiangaben 488 Morde gemeldet – so viele wie zuletzt in den berüchtigten 1990er Jahren. Der Fall Harlem ist bereits die dritte tödliche Gewalttat in der Metropole innerhalb von acht Tagen. Am Freitag zuvor war bei einem Raubüberfall eine 19-jährige Mitarbeiterin einer Fast-Food-Kette erschossen worden. Einen Tag später wurde eine 40-Jährige von einem Mann an der U-Bahn-Station Times Square auf die Gleise gestoßen und starb.
Die jüngsten Vorfälle setzen den frischgebackenen Bürgermeister Eric Adams massiv unter Druck. Adams, der früher selbst Polizist beim New York City Police Department (NYPD) war, hatte im Wahlkampf lautstark damit geworben, die Stadt sicherer zu machen. Nach nur drei Wochen im Amt kündigt der Bürgermeister nun einen ehrgeizigen Plan für die öffentliche Sicherheit an: Künftig sollen mehr Polizeibeamte auf den Straßen unterwegs sein und weniger Schreibtischdienste leisten. Zudem rief er Staatsanwälte auf, Waffendelikte härter zu verfolgen. „Wir werden unsere Stadt nicht den wenigen Gewalttätigen überlassen“, sagte Adams und fügte hinzu: „Waffengewalt ist eine Krise der öffentlichen Gesundheit. Es gibt keine Zeit zu warten.“
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New Yorks Bürgermeister will Anti-Waffen-Einheit reaktivieren
Der neue Plan des Bürgermeisters sieht eine „gezielte, präzise Polizeiarbeit“ vor, die sich auf die 30 New Yorker Bezirke konzentriert, in denen 80 Prozent der Gewaltdelikte stattfinden. Um größere Mengen illegaler Waffen zu beschlagnahmen, soll die Polizeieinheit personell und technologisch aufgestockt werden. Durch eine engere Zusammenarbeit zwischen NYPD und FBI sollen künftig schneller Verfahren gegen illegale Waffenträger und -händler eingeleitet werden. Zudem will Adams das sogenannte Krisenmanagementsystem (CMS) ausbauen, um die Begleiterscheinungen von Waffengewalt zu bekämpfen.
Mit besonderer Spannung wurden seine Vorschläge zur Erneuerung der Polizeieinheit zur Kriminalitätsbekämpfung erwartet. Im Zuge der Ermordung von George Floyd und den aufblühenden Black-Lives-Matter-Protesten, hatte die Stadt New York die in Kritik geratene Einheit aufgelöst und versprochen, diese zu überarbeiten. Floyd war im Mai 2020 erstickt, nachdem ein Polizist mehr als neun Minuten lang auf seinem Hals kniete.
Wie der Bürgermeister nun ankündigte, soll die „neue Version einer modifizierten Anti-Waffen-Einheit in Zivil“ innerhalb weniger Wochen einsetzbar sein. Zusätzlich zu den klassischen Polizeistreifen sollen demnach sogenannte „Nachbarschaftssicherheitsteams“ durch die besagten 30 Brennpunktviertel patrouillieren. Im Gegensatz zu der aufgelösten Einheit zur Verbrechensbekämpfung sollen die neuen Zivilteams schwerer als Polizei erkennbar sein. Die Beamten tragen demnach keine Uniformen und fahren in nicht gekennzeichneten Fahrzeugen.
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Kritik an Polizeieinheit in Zivil: „Schlag ins Gesicht“
Die Reformpläne des Bürgermeisters stießen prompt auf Kritik. Viele links-progressive Demokraten kritisierten die Polizeieinheit in Zivil als veraltete Polizeipraxis. Tiffany Cabán, ein Stadtratsmitglied aus Queens, bezeichnete die Rückkehr der Einheit zur Verbrechensbekämpfung als „besonders besorgniserregend“. Die Einheit habe Waffengewalt schon in der Vergangenheit nicht reduzieren können, so Cabán. Stattdessen waren die Beamten laut eigener NYPD-Statistik verhältnismäßig oft an tödlichen Schusswechseln beteiligt.
Zudem wächst unter Aktivisten und Bürgerrechtsanwälten die Sorge, dass mit einer Polizeieinheit in Zivil auch härtere Praktiken zurückkehren könnten, die in der Vergangenheit unter anderem zu Tötungen wie im Fall von George Floyd geführt haben. Für den New Yorker Bürgerrechtsanwalt Akeem Browder ist das Ganze „schlecht durchdacht“. Sein jüngerer Bruder Kalief wurde zu einem Protestsymbol für eine Reform der Strafjustiz, nachdem er als Jugendlicher drei Jahre lang ohne Gerichtsverfahren im Gefängnis saß. „Dies ist nur ein weiterer Schlag ins Gesicht, der uns zu einem Polizeistaat führt“, sagte Browder der „New York Times“.
Adams wies die Kritik an seinen Plänen zurück. Die Polizistinnen und Polizisten, die für die neue Einheit aus anderen Abteilungen abgezogen werden soll, seien handverlesen und würden zunächst ein spezielles Training durchlaufen. Zusätzlich sollen alle Beamten mit Körperkameras ausgestattet werden.
Eric Adams – das ist der neuen Bürgermeister von New York
Adams fordert härtere Gesetze und Hilfe aus D.C.
Der New Yorker Bürgermeister plant zudem mehrere Gesetzesänderungen im Strafrecht. So fordert Adams, dass junge Menschen, die wegen Waffenbesitzes angeklagt werden und nicht bereit sind zu sagen, woher sie die Waffen haben, stärker verfolgt werden sollen. Die Angeklagten müssten seiner Ansicht nach als Erwachsene vor Gericht gestellt werden und demnach auch mit härteren Strafen rechnen.
Des Weiteren übte der Bürgermeister Kritik an dem sogenannten „Raise the Age“-Gesetz, welches das Strafmündigkeitsalter heraufsetzt. Dieses werde insbesondere von Gangmitgliedern ausgenutzt, um die Verantwortung für Waffenkriminalität Kindern und Teenagern zuzuschieben, so Adams. Dazu zitierte er Statistiken, aus denen hervorgeht, dass sich der Anteil der Jugendlichen unter 18 Jahren, die wegen Waffendelikten festgenommen wurden, innerhalb von zwei Jahren vervierfacht hat. Es wurde jedoch nicht klar, ob der Anstieg darauf zurückzuführen war, dass mehr Kinder mit Waffen oder insgesamt weniger Kinder verhaftet wurden.
Eric Adams weiß auch, dass er den Kampf gegen die Waffengewalt nicht alleine gewinnen kann. Der Bürgermeister forderte deswegen die US-Regierung um Joe Biden zu einem härteren Vorgehen gegen Waffenkriminalität auf. „Wir sind darauf angewiesen, dass Washington uns unterstützt und die Verbreitung von Schusswaffen in New York stoppt“, sagte Adams. Auf Bundesebene sei es versäumt worden, „dem Strom von Schusswaffen in diese Stadt zu stoppen“, kritisierte er. „Wir stellen hier keine Waffen her. Wie kann es sein, dass wir tausende Schusswaffen aus den Straßen entfernen und sie trotzdem weiter ihren Weg nach New York finden – in die Hände von Menschen, die Mörder sind?“
Quellen: „New York Times“, „CNN“, „NYC Government“, mit AFP-Material
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