Freunde werden die beiden nicht mehr, so viel ist schon nach wenigen Minuten klar. Da spricht der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu davon, dass sich „PKK-Terroristen in Deutschland frei bewegen können“. Auch „Terroristen“ des islamistischen Sektenpredigers Fethullah Gülen („der Geisteskranke aus Pennsylvania“) hätten in Deutschland Unterschlupf gefunden. „Das geziemt sich nicht!“, sagt er. Es gebe 4500 Akten, die Ankara an die Bundesregierung weitergeben habe, „aber wir wissen nicht, wie diese Verfahren in Deutschland ausgegangen sind“.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier steht daneben und presst die Lippen aufeinander. Er hat den Putschversuch vom 15. Juli verurteilt, er hat gesagt, dass er nicht die Meinung mancher Politiker in Deutschland teilt, dass die Türkei nicht nach Europa gehört. „Lieber Mevlüt“, sagt Steinmeier, „wir stehen zusammen gegen Terrorismus, egal ob er vom ‚Islamischen Staat‘ oder der PKK ausgeht.“

Doch der liebe Mevlüt will nicht lieb sein. Das sieht man schon daran, dass der türkische Außenminister mit keinem Wort darauf eingeht, dass Steinmeier am Vortag zum Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten nominiert wurde. Einerseits.

Andererseits ist es ein kleines Wunder, dass dieser Besuch überhaupt zustande gekommen ist. Mehrmals musste er verschoben werden, weil die türkische Seite Termine nicht bestätigen wollte. In den vergangenen Wochen war es mitunter nicht einmal möglich, eine verlässliche Telefonverbindung zwischen Berlin und Ankara zu schalten. Vier Mal war Steinmeier mit seinem türkischen Amtskollegen zum Ferngespräch verabredet, vier Mal hatte Steinmeier bereits den Telefonhörer am Ohr, wartete minutenlang, um dann zu erfahren, dass Cavusoglu leider nicht zur Verfügung stehe.

Steinmeier hat sich vergeblich bemüht

Dabei war es doch Steinmeier, der lange versucht hatte, die Armenien-Resolution des Bundestages zu verhindern. Es war sein Außenamt, das die umstrittene Distanzierung von der Parlamentsresolution vorbereitete.

Die Bundesregierung setzt nach wie vor darauf, dass die Türkei Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak von Europa fernhält – und will vor allem deshalb Präsident Recep Tayyip Erdogan nicht allzu sehr reizen. Doch so sehr sich Steinmeier in Ankara auch bemühte, das belastete Verhältnis zu kitten, so hartleibig gaben sich seine türkischen Gastgeber.

Als sein türkischer Amtskollege in der gemeinsamen Pressekonferenz zum dritten Mal seinem Gastgeber vorwirft, die 4500 Terror-Dossiers seien im Berliner Sand verlaufen, ist Steinmeiers Geduld zu Ende: „Davon habe ich keine Kenntnis. Wir verfolgen die terroristischen Aktivitäten der PKK nach dem Buchstaben des Gesetzes.“

Steinmeier traf auch Premier Binali Yilidirim unter vier Augen. In dem 80-minütigen Gespräch war die Atmosphäre ähnlich frostig wie zuvor in der Unterredung mit Außenminister Cavusoglu, Yildirim erhob dieselben Vorwürfe gegen Deutschland.

Die Türkei hat sich seit dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli schrittweise von Europa entfernt. Mehr als 100.000 Staatsbeamte wurden nach dem Aufstand verhaftet oder vom Dienst suspendiert, fast 200 Medienhäuser wurden geschlossen. Das World Justice Project, eine amerikanische NGO, listet die Türkei in einem internationalen Rechtsstaatsindex auf Platz 99, hinter Iran und Russland. Zuletzt hat Erdogan innerhalb einer einzigen Woche die Bürgermeister der kurdischen Millionenstadt Diyarbakir durch Zwangsverwalter ersetzt. Er hat die Führung der pro-kurdischen Partei und 13 Mitarbeiter der „Cumhuriyet“, einer der letzten verbliebenen Oppositionszeitungen, festnehmen lassen.

Erdogan schert sich nicht mehr groß um Europa

Der Präsident will zudem das Parlament über die Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen lassen – ein Schritt, der wohl endgültig das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen besiegeln würde. „Die Normen der EU haben in der Türkei jede Gültigkeit verloren“, sagt der Mitgründer der Regierungspartei AKP und ehemalige Vize-Premier Erturgrul Yalcinbayir.

Wenige Stunden vor dem Ankara-Besuch Steinmeiers kündigte Erdogan eine Volksabstimmung über die Fortsetzung der EU-Beitrittsverhandlungen an. Angesichts der europafeindlichen Stimmung in der Türkei, die von der Regierung seit Monaten geschürt werde, fürchtet Yalcinbayir, würden Beitrittsgegner ein solches Referendum wohl gewinnen.

Erdogan scheint ein solches Risiko in Kauf zu nehmen. Er schert sich schon seit längerer Zeit nicht mehr groß um die Befindlichkeiten der Europäer. Auf die Kritik von Europaparlamentspräsident Martin Schulz am Umgang Ankaras mit der Opposition reagierte er am Montag ungehalten: „Wer bist du?“ fragte er Schulz. „Du bist ein einfacher Parlamentsvorsitzender. Seit wann entscheidest du für die Türkei? Schaut euch den Flegel an. Sagt, er will uns Sanktionen auferlegen. Sanktioniere, was immer du willst.“

Am frühen Abend empfängt Erdogan den deutschen Nochaußenminister in seinem Präsidentenpalast. Vielleicht fragt er Steinmeier ja, wer sein Nachfolger im Auswärtigen Amt werden könnte. Dann dürfte vermutlich auch der Name Martin Schulz fallen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Erdogan schon bald nach den Zeiten zurücksehnt, in denen Steinmeier deutscher Außenminister war.

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