Auf der Suche nach einer Kandidatin oder einem Kandidaten für den Chefposten der EU-Kommission werden nach Angaben von Diplomaten der deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Chancen eingeräumt. Neben ihr werden auch die bisherige EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager sowie die Bulgarin und Weltbank-Geschäftsführerin Kristalina Georgiewa genannt.
Spekulationen über von der Leyen hatte es bereits Montagmittag gegeben. Die Deutsche war zu diesem Zeitpunkt noch als EU-Chefdiplomatin ins Gespräch gebracht, oder, wie es in Brüssel heißt: getestet worden. Die Reaktionen im Kreis der Staats- und Regierungschefs waren recht positiv, heißt es.
Die 60-Jährige ist in Brüssel keine Unbekannte, hat sich zuletzt für den Aufbau der verstärkten Verteidigungszusammenarbeit stark gemacht, und sie spricht fließend Englisch und Französisch.
„Effektiv ins Spiel gebracht“
So wuchs bei den Deutschen wohl die Versuchung, den Namen für höhere Weihen zu testen. „Wir werden heute mit neuer Kreativität an die Arbeit gehen“, sagte Kanzlerin Angela Merkel beim Eintreffen im Ratsgebäude. Kreativ – das wäre die Wahl von Ursula von der Leyen in der Tat.
Emmanuel Macron soll die Bundesverteidigungsministerin als Kommissionschefin vorgeschlagen haben. Der Vorschlag sei Teil eines Vorstoßes des französischen Präsidenten, mit dem dieser Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen bringen wolle, heißt es unter EU-Diplomaten in Brüssel. Dieser umfasst demnach auch die Personalie Christine Lagarde. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds könnte demnach Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) werden.
Von der Leyens Name werde auch von der EVP „effektiv ins Spiel gebracht“, sagte der Minister eines EU-Landes dem SPIEGEL. Allerdings sei unklar, ob der Vorschlag ernst gemeint sei oder von den Christdemokraten nur dazu benutzt wird, in den Verhandlungen Druck zu machen.
Die Verteidigungsministerin, degradiert zum Pokerchip? Gegen von der Leyen spreche, dass sie eine Deutsche sei, so der Minister. Das sei in Wahrheit auch ein Grund für die massive Front gegen Manfred Weber gewesen: „Bei der Stärke, die Deutschland in der EU hat, ist ein Deutscher als Kommissionschef für viele schwer vorstellbar.“
Es ist also noch völlig offen, ob aus der Möglichkeit von der Leyen eine Kandidatin von der Leyen werden könnte. Allerdings haben die Blockierer vom Vortag – Polen, Ungarn, Tschechien, die Slowakei und Italien – schon zu erkennen gegeben, dass sie sich mit der Deutschen arrangieren könnten. So erzählen es EU-Diplomaten. Der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte hatte am Dienstagmorgen gesagt, dass er eine Frau an der Spitze der EU-Kommission bevorzugen würde.
Was wird aus Weber?
Problematisch ist aber, dass mit von der Leyens Aufstieg das Schicksal eines weiteren Deutschen infrage stünde: Manfred Weber, der EVP-Spitzenkandidat, soll zwar weiterhin als Parlamentspräsident gesetzt werden. Das ginge dann aber bestenfalls noch für zweieinhalb Jahre, sollte von der Leyen zum Zug kommen.
Es wäre ein herber Absturz für den Mann, der angetreten ist, Kommissionschef zu werden. Zudem wäre das EU-Parlament wohl kaum begeistert, wenn Merkel mal eben den Spitzenkandidaten zur Seite drückt. Der EU-Rat schlägt zwar den Kandidaten vor, aber es braucht auch eine Mehrheit im Parlament.
Ein EU-Diplomat gibt auf die Frage nach von der Leyens Chancen dagegen zu bedenken, dass sie auch gewisse Chancen haben könnte – weil sie der EVP angehöre und eine Frau sei. Denn sollten die Regierungschefs keinen der Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten ernennen und sich damit gegen den Wunsch der Mehrheit im EU-Parlament stellen, wären sie fast schon gezwungen, eine Frau zu nominieren. „Das EU-Parlament würde es vielleicht nicht wagen, die erste Kommissionspräsidentin der Geschichte zu verhindern“, so der Diplomat.
Angela Merkels Regierungssprecher Steffen Seibert wollte weder bestätigen noch dementieren, dass von der Leyen im Rennen um den EU-Topjob ist: „Wir kommentieren keine Namen und Zwischenstände.“
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