Bekommt Deutschland mehr als zwei Monate nach der Bundestagswahl endlich eine neue Regierung? Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen zwischen Union, FDP und Grünen deuten alle Zeichen auf eine Neuauflage der Großen Koalition hin. Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel ist strikt gegen Neuwahlen, wie sie am Wochenende erneut betonte.
Eine Neuauflage der Groko hatte die SPD-Spitze zwar lange ausgeschlossen. Nachdem aber Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zuletzt alle Parteien eindringlich zu einem neuen Anlauf für eine Regierungsbildung aufgerufen hatte, dreht die Stimmung bei den Sozialdemokraten.
Bewegung bringt an diesem Sonntagabend die Union in das Thema. Um 18 Uhr trifft sich das CDU-Präsidium im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin zu Beratungen. Bei der Sitzung dürfte auch das am kommenden Donnerstag anstehende Gespräch der Parteichefs Merkel, Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) bei Bundespräsident Steinmeier Thema sein.
Eines ist aber jetzt schon klar: Besonders gut ist die Stimmung zwischen der Union und den Sozialdemokraten nicht. So adressierten die SPD-Linken gleich eine Warnung an Merkel: Die Gesprächsatmosphäre dürfe nicht mit Vorwürfen an die Sozialdemokraten belastet werden. „Scheinbar hat Frau Merkel die Lage vor lauter Jamaika-Träumereien noch nicht realisiert. Sie ist krachend gescheitert“, sagte der Sprecher des einflussreichen linken Flügels der SPD im Bundestag, Matthias Miersch.
Angela Merkel ist enttäuscht von der SPD
Merkel hatte bei einem CDU-Landesparteitag in Mecklenburg-Vorpommern am Samstag in Kühlungsborn nicht nur ihre Erwartungen an eine mögliche Fortsetzung der Großen Koalition wie einen ausgeglichenenen Haushalt und Entlastungen beim Soli genannt. Sie beklagte außerdem, dass die SPD kein einziges gutes Wort über die gemeinsame Arbeit der vergangenen vier Jahre finde.
„Ich lege Angela Merkel ein paar Tage zur Selbstfindung und Selbstkritik nahe“, sagte Miersch. „Wenn sie dann nicht verstanden hat, dass in ihrer Situation leisere Töne angebracht wären, ist sie vielleicht nicht die richtige Person für Gespräche.“
Aus der SPD kommt ein ganzer Wunschzettel an die Union
Andere SPD-Politiker stellten hohe Hürden für Gespräche mit der Union auf. Die Vorsitzende der Frauen in der SPD, Familien-Staatssekretärin Elke Ferner, forderte CDU und CSU auf, „sofort als vertrauensbildende Maßnahme“ das Rückkehrrecht von Teilzeit auf die alte Arbeitszeit sowie die Solidarrente zu beschließen. „Beides war im Koalitionsvertrag vereinbart. Beides wurde von der Union blockiert“, sagte Ferner der „Welt am Sonntag“.
Fraktionsvize Karl Lauterbach machte indirekt die Abschaffung der privaten Krankenversicherung zur Voraussetzung für Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Union. „Wir werden sehen, ob die Union bereit ist, sich in Richtung eines gerechteren Landes zu bewegen“, sagte Lauterbach derselben Zeitung. Bewege sich die Union nicht, „haben wir keine Chance, Neuwahlen zu verhindern“.
Der rheinfland-pfälzische SPD-Fraktionsvorsitzende Alexander Schweitzer nannte die Bürgerversicherung als Bedingung: „Wenn die Union hier nicht einschwenkt, können wir uns jedes weitere Gespräch sparen“, sagte Schweitzer. Die SPD fordere zudem „massive Investitionen in Bildung, Wohnungsbau und Breitband“. Die künftige Bundesregierung müsse hochverschuldete Kommunen entlasten. Schweitzer bezeichnete eine Neuauflage der Großen Koalition auf Bundesebene als „derzeit nicht greifbar“. Ein Bündnis mit der Union werde in der SPD „sehr kritisch gesehen“. Der Sozialdemokrat warf der Union vor, diese habe „zuletzt mehrfach den Koalitionsvertrag gebrochen“.
Und die Kanzlerin – die gibt sich vorsichtig. „Ich weiß natürlich nicht, wie die Dinge in den nächsten Tagen weitergehen“, sagte Merkel in Kühlungsborn. Sie fügte hinzu: „Es wäre wünschenswert, sehr schnell zu einer Regierung zu kommen – nicht nur zu einer geschäftsführenden.“
Neuwahlen? Bloß nicht!
Die Junge Union setzte den Parteien unterdessen eine Frist bis Weihnachten zur Bildung einer Großen Koalition. „Sollte es bis zu diesem Zeitpunkt keine Einigung über einen Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD geben, sind die Verhandlungen als gescheitert anzusehen“, heißt es in einem am Samstag beim Deutschlandrat beschlossenen Papier, aus dem die „Bild am Sonntag“ zitiert. Im Falle eines Scheiterns schlug JU-Vorsitzender Paul Ziemiak dann eine Minderheitsregierung vor. Die Union dürfe „nicht um jeden Preis“ eine Groko eingehen.
CSU-Chef Seehofer sprach sich für eine Große Koalition aus. Dies sei „die beste Variante für Deutschland“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Er begrüßte die Bereitschaft der Sozialdemokraten zu Gesprächen, warnte sie aber vor überzogenen Forderungen. „Eine große Koalition um jeden Preis darf es nicht geben“, sagte er.
Das Ergebnis von Neuwahlen könnte ähnlich ausfallen wie am 24. September, und die Parteien wären keinen Schritt weiter. Zudem ist die Furcht unter den etablierten Parteien verbreitet, die AfD könnte noch stärker abschneiden. Viele frisch gewählte Abgeordnete wollen zudem nicht das Risiko eingehen, ihren Abgeordnetenposten im Berliner Parlament gleich wieder zu verlieren.
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