Die ganze Welt schaut auf Aleppo – die einen entsetzt und ohnmächtig, die anderen triumphierend und siegesgewiss. Erstmals seit vier Jahren stehen das syrische Regime, Russland und Irans Milizen kurz davor, den Bürgerkrieg militärisch zu ihren Gunsten zu wenden. Gleichzeitig wird Aleppo wie kein anderer Ort zum Symbol für die barbarische Unversöhnlichkeit des nun nahezu sechs Jahre dauernden Bürgerkriegs.
Kein Wunder, dass sich der Blick in den letzten Monaten immer mehr auf das Schicksal dieser einen Stadt verengte. Das größere Bild dagegen verblasst – die nationale syrische Tragödie, die bisher weit mehr als 300.000 Menschen das Leben gekostet und Millionen zu Flüchtlingen gemacht hat. Vergessen ist auch, dass der Bürgerkrieg einst mit friedlichen Massenprotesten der Bevölkerung begann. Hunderttausende Bürger hatten nach vierzig Jahren Diktatur die Herrschaft des Assad-Clans und seiner Getreuen satt, die das Land wie ihre Privatdomäne beherrschten und ausplünderten.
Syrien war vor dem Arabischen Frühling und ist bis heute einer der härtesten Polizeistaaten auf dem Globus. Mindestens 17.000 Menschen wurden nach Angaben von Amnesty International seit März 2011 zu Tode gequält – durch einen Staatsapparat, der für seinen Machterhalt vor keiner Bestialität zurückschreckt. An diesem Grundübel hat sich nichts geändert – und so wird es auch nach Aleppo ohne einen wirklichen Machtkompromiss zwischen dem Regime und der moderaten aufständischen Bevölkerung keinen Frieden geben.
Für Diktator Baschar al-Assad war die regionale und internationale Konstellation noch nie so günstig wie heute. Rufe nach seinem Rücktritt sind weitgehend verstummt. Wladimir Putin will durch seinen militärischen Kraftakt die internationale Anerkennung Russlands erzwingen und sich mit Syrien und Ägypten eine neue Machtbasis im Nahen Osten aufbauen. Der neugewählte amerikanische Präsident Donald Trump dagegen kündigte an, er werde die Vereinigten Staaten zurückziehen und die kostspieligen internationalen Interventionen in fernen Weltgegenden beenden. In Europa wachsen Terrorangst, Polarisierung und fremdenfeindlicher Populismus angesichts der vielen Flüchtlinge aus der nahöstlichen Krisenregion.
Ähnlich in Bewegung geraten ist das Kalkül der regionalen Mächte. Der türkische Präsident Recep Tayyib Erdoğan lässt immer stärker von seinem Intimfeind Assad ab, weil ihm das heraufziehende Unabhängigkeitsstreben der Kurden weit mehr Kopfzerbrechen bereitet. Saudi-Arabien ist absorbiert vom kostspieligen Krieg im Jemen und vom fundamentalen Umbau seiner ölsüchtigen Volkswirtschaft. Und der Iran zeigt keinerlei Neigung, nach dem Atomabkommen seine Machtinteressen in Syrien einzuschränken, um das Verhältnis zum Westen weiter zu entspannen.
Regimegegner wurden als Terroristen verunglimpft
In dieser Situation glauben die Machthaber in Damaskus offenbar, dass sich ihr Staat durch Bombenteppiche und Polizeiwillkür irgendwie wieder zusammenflicken lässt. Vom ersten Tag an verunglimpften Assads Getreue alle friedlichen Demonstranten als Terroristen, ließen auf sie schießen und wischten ihre Forderungen vom Tisch. Und so eskalierte die ungleiche innersyrische Konfrontation nach und nach zu einem regionalen und globalen Konflikt.
Die Golfstaaten mit Saudi-Arabien an der Spitze sahen ihre Chance gekommen, endlich das Iran-freundliche Assad-Regime aus dem Sattel zu heben, und begannen, salafistische Brigaden aufzurüsten. Die Türkei schleuste abertausende Jihadisten und Waffen für den „Islamischen Staat“ ins Nachbarland. Der syrische Diktator wiederum ließ sämtliche Extremisten aus den Gefängnissen laufen, die sein Regime nach deren Rückkehr aus dem Post-Saddam-Irak verhaftet hatte.
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