Schlimmer, als etwas zu verlieren, ist dies: etwas zum zweiten Mal zu verlieren. So ging es Mohammed al-Farez am vergangenen Wochenende. Al-Farez, ein kleiner schwerer Mann Ende 30 mit dunklen Augenringen, stammt aus Palmyra, der Stadt in der syrischen Wüste, die berühmt ist für ihre antiken Ruinen. Sein ganzes Leben hat er dort verbracht, sich eine Existenz als Hotelbesitzer aufgebaut, bis der „Islamische Staat“ vor anderthalb Jahren in Palmyra einmarschierte und Al-Farez mit seiner Frau und seinen vier Kindern in eine andere syrische Stadt flüchten musste. Im Internet sah er, wie der IS Tempel sprengte und Menschen hinrichten ließ.
Wir trafen Al-Farez im Oktober dieses Jahres, als wir für eine Reportage in Palmyra waren. Damals war er gerade in seine Heimat zurückgekehrt: Die syrisch-russische Koalition hatte den IS im Frühjahr 2016 vertrieben. Bei unserem Besuch war Palmyra eine Geisterstadt, voller Soldaten, Checkpoints, Panzerwagen – und ein paar wenigen Zivilisten. Es gab noch kein sauberes Wasser und keinen Strom, aber Al-Farez war trotzdem optimistisch: Das Leben würde nach Palmyra zurückkehren.
Am vergangenen Wochenende musste Mohammad al-Farez wieder fliehen. Völlig überraschend marschierte der IS erneut in Palmyra ein. Bis zu 5.000 Kämpfer sollen es gewesen sein, die die syrischen Stellungen überrannten und sich auch von russischen Luftangriffen nicht vertreiben ließen. Für Assad – und auch für seinen Beschützer Putin – ist der Verlust Palmyras eine schwere Niederlage. Während die syrische Armee in Aleppo Straße um Straße erobert und damit Stärke demonstrieren will, zeigt sich in Palmyra ihre Schwäche. Assad behauptet zwar, er sei der legitime Herrscher über ganz Syrien, aber seine ausgezehrten Truppen und ihre ausländischen Verbündeten schaffen es nicht, diesen symbolisch aufgeladenen Ort in der Wüste zu halten.
„Wie konnte das passieren?“, fragt Mohammed al-Farez, als wir ihn am Telefon erreichen.
„Ich bin fassungslos“, sagt auch Maamoun Abdulkarim, Chef der syrischen Antikenbehörde in Damaskus. „Ich dachte, Palmyra wäre sicher, solange die Russen dort sind.“ Abdulkarim ist der Herr der alten Steine. Ihm unterstehen alle antiken Stätten und Kulturgüter im Land. Schon im vergangenen Jahr haben er und seine Leute Hunderte Statuen in die Hauptstadt evakuiert. Jetzt macht er sich Sorgen um die Schätze, die sich nicht transportieren lassen: das antike Theater von Palmyra, ein tonnenschwerer Sarkophag, die Säulen der Kolonnadenstraße. „Ich hoffe, die Stadt wird bald zurückerobert. Je länger es dauert, desto mehr Schäden wird der ‚Islamische Staat‘ anrichten.“
Seit Mitte des 18. Jahrhunderts britische Archäologen in die syrische Wüste vorgestoßen waren, galt Palmyra in den Ländern des Westens als „Wiege der Zivilisation“, als Ort, an dem auch Europäer ihr kulturelles Erbe entdecken können. Heute, im Bürgerkrieg, versucht jede Partei, die alten Steine für ihre Propaganda zu nutzen. Für den IS ist Palmyra eine Waffe, mit der er den Westen aus der Ferne angreifen kann, ohne in seine Fußballstadien oder Bars kommen zu müssen. Und für die Russen und die Syrer war die Rückeroberung Palmyras im vergangenen Mai eine Art Rechtfertigung, mit der sie sich als Beschützer der Kultur inszenieren konnten. Auch deshalb war es schwer vorstellbar, dass sie die Stadt wieder hergeben würden.
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