Zehntausende Menschen harren in und um Aleppo aus und warten darauf, an einen sicheren Ort zu gelangen. Nachdem die syrische Führung die Evakuierung von Zivilisten am Freitag nach Gefechten unterbrochen hatte, sind nun immerhin vor zwei belagerten Orten im Nordwesten der Stadt Busse vorgefahren, die die Menschen in Sicherheit bringen sollen. Hier warten Hunderte auf Hilfe: rund 1500 Verletzte, Frauen und Kinder.

Die Busse erreichten die Gegend um die schiitischen Dörfer Fua und Kafraja am Samstagabend. Milizen aus dem schiitischen Iran, die an der Seite der syrischen Armee kämpfen, hatten nach Angaben aus Regierungskreisen gefordert, dass im Gegenzug für die Evakuierung der Rebellengebiete Aleppos auch die Blockade dieser beiden Orte aufgehoben werden müsse.

Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt warten auch in Ost-Aleppo viele Menschen auf Rettung. Wie es mit ihnen weitergeht, ist ungewiss. Eine neue Vereinbarung zwischen der syrischen Führung und den Rebellen, die auch die Evakuierung weiterer belagerter Orte mit einschließe, sei nach Angaben aus syrischen Regierungskreisen ausgemacht und werde bald umgesetzt.

Um die Mission zu überwachen, könnten kurzfristig Beobachter nach Aleppo entsendet werden, sofern die Vereinten Nationen eine entsprechende Resolution verabschieden. Der Uno-Sicherheitsrat will am Sonntag darüber abstimmen. Bei der Sondersitzung geht es um einen von Frankreich eingebrachten Entwurf, demzufolge die Evakuierung von Ost-Aleppo von den Vereinten Nationen überwacht werden soll.

In der Resolution wird Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon aufgefordert, schnell humanitäres Personal nach Aleppo zu entsenden, das sich bereits in Syrien befindet. Dieses solle eine „angemessene neutrale Überwachung und direkte Beobachtung“ der „Evakuierung der belagerten Teile Aleppos“ sicherstellen. Zudem soll der Schutz von Zivilisten, die bleiben wollen, gesichert werden, wie aus dem Entwurf hervorgeht.

Ob die Resolution das Gremium passieren würde, ist fraglich. Die Abstimmung findet trotz des Widerstands Russlands statt, das sich skeptisch gezeigt hatte. Moskau unterstützt Syriens Präsident Baschar al-Assad und verfügt über ein Vetorecht. Das 15-köpfige Gremium trifft sich am Nachmittag in New York (10 Uhr Ortszeit).

Laut dem von Frankreich eingebrachten Entwurf würde sich der Sicherheitsrat „alarmiert“ über die sich verschlechternde Lage in Aleppo äußern. Der französische UN-Botschafter François Delattre sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Entsendung internationaler Beobachter nach Aleppo würde „ein weiteres Srebrenica“ verhindern. Dort hatten 1995 bosnisch-serbische Milizen etwa 8000 muslimische Männer und Jungen getötet. Das Massaker ging als das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg in die Geschichte ein.

Über die Initiative hatte sich Frankreich nach Angaben Delattres eng mit Deutschland abgestimmt, das dem Sicherheitsrat nicht angehört. Das mächtigste UN-Gremium hat sich im Syrienkonflikt allerdings wiederholt als nicht handlungsfähig erwiesen.

Unterdessen hat Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Zurückhaltung des Militärbündnisses im Syrienkonflikt verteidigt. Der Einsatz von Militär würde die schreckliche Situation noch schrecklicher machen, sagte Stoltenberg der „Bild am Sonntag“. „Manchmal ist es richtig, militärische Mittel einzusetzen – wie in Afghanistan. Aber manchmal wären die Kosten des Einsatzes militärischer Mittel größer als der Nutzen“, erläuterte er.

Im Fall von Syrien könnte es zudem zu einem größeren regionalen Konflikt führen. Nicht immer führe ein Militäreinsatz zu einer friedlichen Lösung. In manchen Situationen sei er sogar der falsche Weg. „Wenn wir auf jedes Problem, jede humanitäre Katastrophe mit militärischen Mitteln antworten würden, würden wir in einer Welt mit noch mehr Kriegen und Leiden enden.“

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Frontverlauf in Syrien

Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) kritisierte in der „Bild am Sonntag“ das Vorgehen der russischen und syrischen Streitkräfte. „Weder das syrische Volk noch die Weltgemeinschaft werden die Gnadenlosigkeit von Aleppo je vergessen, die durch nichts zu rechtfertigen ist.“

CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen warnte in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ davor, dass Russland und die Türkei eine gesonderte Absprache über Syrien treffen könnten. „Eine der gefährlichsten Entwicklungen ist ein russisch-türkisches Arrangement in Syrien“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Hier drohe „ein weiteres diplomatisches Desaster für den Westen“.

Aufgrund der katastrophalen Verhältnisse in Aleppo plädierte der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), für ein Notfallprogramm. „Die EU-Staaten sollten gemeinsam ein begrenztes Kontingent für 20.00 Syrer zur Verfügung stellen, um eine humanitäre Katastrophe infolge der Eroberung Aleppos zu vermeiden“, sagte er der „Bild am Sonntag“.

Am Samstag demonstrierten mehrere Tausend Menschen in verschiedenen deutschen Städten und auch in London gegen den Krieg. In Stuttgart waren rund 2200 Menschen dabei, in Berlin beteiligten sich an zwei Demonstrationen nach Polizeiangaben insgesamt rund 2100 Menschen, in Mannheim rund 1500, in Hamburg 800.

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