Seinen ersten Arbeitstag hatte sich André Bodemann sicher anders vorgestellt. Am Donnerstagmorgen wurde der Brigadegeneral im Camp Marmal im nordafghanischen Masar-i-Scharif zum neuen Regionalkommandeur der Nato-Trainingsmission „Resolute Support“ ernannt. Im Feldlager gab es eine Feier. Sogar ein paar Gäste aus Deutschland waren angereist. Ein Reporter fragte, was sich der Bundeswehroffizier von seinem Posten erhoffe. „Ich muss erst mal sehen, was mich hier erwartet“, sagte Bodemann zurückhaltend.

Keine zehn Stunden später bekam er einen Eindruck, wie gefährlich Afghanistan ist. Aus dem deutschen Generalkonsulat in der Stadt ging kurz nach 23 Uhr Ortszeit ein Notruf ein: Mit einem Kleinlaster hatten Taliban-Kämpfer die hohe Außenmauer gesprengt. Die Detonation war so heftig, dass noch im Umkreis von Kilometern Scheiben zerbarsten. Eine Gruppe der Radikalislamisten drang auf das Gelände vor und schoss um sich. Die meisten Mitarbeiter des Konsulats verschanzten sich im Panikraum, andere schlossen sich im Keller ein.

Bodemann hatte nicht viel Zeit. Im Befehlsstand sichtete er Aufklärungsbilder. Schnell wurde klar, dass es sich um einen groß angelegten Angriff handelte: Die Taliban versuchten, das Konsulat zu stürmen. Der General schlug Alarm und schickte seine letzte robuste Einheit, die Quick Reaction Force (QRF), mit schwer bewaffneten deutschen, georgischen und lettischen Soldaten los. Er selbst rief seine Personenschützer zusammen. Als Bodemann im Panzer-Jeep in die Stadt raste, brüsteten sich die Taliban schon per Twitter, erfolgreich Rache an den Deutschen genommen zu haben.

Das Konsulat liegt in Trümmern

Auf dem Konsulatsgelände tobte ein erbitterter Kampf. Das Schutzteam der Bundespolizei lieferte sich ein heftiges Feuergefecht mit den Angreifern. Im Dunkeln waren die Taliban-Kämpfer kaum zu sehen, niemand wusste, ob man alle ausgeschaltet hatte. Erst als rund eineinhalb Stunden später die Quick Reaction Force eintraf, begann man damit, das Gelände „freizukämpfen“, so ein Lagebericht. Vorsichtig gingen die Soldaten, darunter deutsche Kommandokrieger, von Flur zu Flur. Erst Stunden später konnte Bodemann Entwarnung geben, der Angriff war abgewehrt worden.

Einen Angriff auf das Konsulat hatten die Analysten des Auswärtigen Amts oft durchgespielt, allerdings immer als Worst-Case-Planspiel. Die Bilder vom Morgen aus Masar-i-Scharif zeigten die Realität: Die Vertretung liegt in Trümmern. Aus der Fassade hängen Stahlfetzen und Bauteile, auf der anderen Straßenseite sind ganze Ladenzeilen von der Wucht der Detonation völlig zerstört. Schon in der Nacht hatte die Bundeswehr die rund 20 deutschen Mitarbeiter und einen französischen Polizisten ins Camp Marmal in Sicherheit gebracht. Gut 50 deutsche Soldaten sicherten das Gelände des Konsulats.

Die Nachricht vom Angriff erreichte Berlin schnell. Noch in der Nacht rief Außenminister Frank-Walter Steinmeier den Krisenstab ein. Auch wenn klar war, dass keiner der deutschen Diplomaten oder Mitarbeiter der Botschaft verletzt worden war, ging es um die Frage, was der schwere Angriff für die deutsche Arbeit in Afghanistan bedeutet. Kann man dort noch weiterarbeiten? Bisher galt Masar-i-Scharif als sicher. Das ist nun Vergangenheit.

Für Steinmeier stellt sich die Frage, ob seine Diplomaten gut genug geschützt waren. Zwar hatte das Auswärtige Amt 2015 die Mauern des Konsulats verstärken lassen, auch die Einfahrtschleuse wurde gegen Angriffe sicherer gemacht. Doch die Taliban schafften es trotzdem, auf das Gelände zu kommen. Dass die Nato-Eingreiftruppe 90 Minuten brauchte, um zu reagieren, wirkt ebenfalls nicht beruhigend.

In Afghanistan hatte die Bundeswehr derweil das nächste Problem: Um sechs Uhr morgens rasten drei Motorradfahrer auf eine Straßensperre der Deutschen am Konsulat zu. Die Soldaten feuerten Leuchtmunition, dann Warnschüsse. Doch die Angreifer stoppten nicht. Da sie einen weiteren Anschlag befürchten mussten, schossen die Deutschen. Zwei Fahrer starben sofort, einer wurde schwer verletzt.

Wie es nun weitergeht, ist unklar. Aus Steinmeiers Außenministerium hieß es, das Sicherheitskonzept werde noch einmal überprüft, ein solcher Vorfall dürfe sich nicht wiederholen. Währenddessen suchten die Mitarbeiter des Konsulats die wichtigsten Geheimdokumente und sensible Technik aus ihren Büros zusammen, damit diese nicht in die falschen Hände fallen.

Einige Bundespolizisten stehen nach dem schweren Gefecht unter Schock, sie wurden noch am Morgen aus Masar-i-Scharif ausgeflogen. Das Auswärtige Amt will auch alle Diplomaten vorerst zurückholen, an eine Wiedereröffnung des Konsulats ist erst in Monaten zu denken. Damit der Rückzug schnell vonstattengeht, bot der Bundesnachrichtendienst (BND) sogar seinen Learjet an, denn auch die Agenten des Geheimdienstes waren bis Donnerstagnacht im Konsulat untergebracht.

Read more on Source