Manche hielten es erst für einen Halloween-Scherz. „Ich dachte, das sei Spaß“, sagte der 20-jährige Tawhid Kabir Xisan, von Reportern umringt. „Dann sah ich den Typen und seine zwei Waffen und merkte: Das ist ernst.“

Xisan, der aus Bangladesch kommt, lebt im New Yorker Stadtteil Queens, doch am Dienstagnachmittag war er in Manhattan unterwegs – und wurde zum unfreiwilligen Augenzeugen des Terrors: Ein Attentäter fuhr auf einem belebten Radweg am Hudson River mit einem Pick-up viele Menschen nieder. Acht Personen kamen ums Leben, mindestens elf weitere wurden verletzt, darunter offenbar eine Deutsche (hier lesen Sie einen Überblick über die bisher bekannten Fakten). Es ist der schlimmste Terrorschlag in der Stadt seit dem 11. September 2001.

Wie damals war es einer dieser klaren Tage, wie die New Yorker sie lieben. Doch in nur wenigen Minuten wurde er zum Tag des Terrors – und das, ob aus Zufall oder perfider Absicht, in Sichtweite der 9/11-Gedenkstätte, wo vor 16 Jahren fast 3000 Menschen starben.

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Anschlag in Manhattan: Tod auf dem Radweg

Es wurde ein Tag, so sagte es Gouverneur Mario Cuomo, der die Menschen in der Stadt daran erinnert, dass sie immer eine „Zielscheibe“ bleiben werden für Terroristen und all jene, die New York hassen, dieses „Symbol von Freiheit und Demokratie“.

Was in Manhattan passierte

Alles ging sehr schnell. Um 15.05 Uhr bog der weiße Pritschenwagen vom West Side Highway auf den Radweg ab, der mit breiten Pflanzenbanketten von der achtspurigen Uferstraße getrennt ist. Dieser Radweg ist ein Stolz der Stadt, ein populäres Ziel für Einheimische wie Touristen, er führt um fast ganz Manhattan herum, inmitten des kilometerlangen Hudson River Parks mit Piers, Liegewiesen, Restaurants und Sportplätzen.

Das Fahrzeug trug das Logo einer Baumarktkette und war, wie an der Seite zu lesen, ab 19 Dollar zu mieten. Am Steuer saß ein Mann, dessen Namen die Behörden anfangs noch geheim hielten, um nicht einen Falschen zu nennen.

Polizeikreise identifizierten ihn jedoch schon bald darauf als Sayfullo Saipov, 29. Er wurde in Usbekistan geboren, 2010 kam er mit einer Green Card in die USA, lebe in Florida und New Jersey und habe den Wagen in New Jersey gemietet. Nach Medieninformationen sei er bereits vorher „auf dem Radarschirm“ der US-Fahnder gewesen, doch es blieb unklar, weshalb.

Der 29-Jährige preschte auf Höhe der Houston Street auf den Radweg, dort, wo das West Village ins Shoppingviertel Soho übergeht. Über 1,5 Kilometer überfuhr oder rammte er Radler, Jogger, Skater, Fußgänger. Viele hörten den Wagen nicht, da er von hinten kam. Andere konnten sich retten, indem sie zur Seite sprangen.

An der Chambers Street, nach 20 Straßenblocks, stieß der Pick-up mit einem gelben Schulbus zusammen. Die Stuyvesant High School, wo der Unterricht gerade geendet hatte, liegt an dieser Stelle direkt an dem Radweg – und die Schüler strömten zu der Zeit nach draußen, viele in Halloween-Kostümen.

Der Wagen kam zum Stehen. Schräg gegenüber ragte das One World Trade Center in den knallblauen Himmel, zu seinen Füßen das 9/11-Memorial.

Der Fahrer sprang aus dem Truck, dessen Motorhaube zerschmettert war. Auf Handyvideos ist zu sehen, wie er mit zwei Waffen herumfuchtelte, die sich später als Luftpistolen entpuppten. Nach Angaben aus Polizeikreisen rief er „Allahu akbar“ und lief über den Gehweg, bevor ein Polizist des nahen 1. Polizeireviers ihm in den Bauch schoss.

Video-Standbild, das den New-York-Attentäter zeigen soll

Tawhid Kabir/AP/dpa

Video-Standbild, das den New-York-Attentäter zeigen soll

Rasch verbreiteten sich die Bilder: Tote unter Leichentüchern, blutende Verletzte, verbogene Fahrräder, Passanten unter Schock. Fünf Todesopfer waren nach Behördenangaben Touristen aus Argentinien, die ein Klassentreffen in New York verbracht hatten. Auch eine Frau aus Belgien starb.

Krankenwagen transportierten die Verwundeten ab, darunter zwei Kinder, die in dem Schulbus gesessen hatten, und den 29-Jährigen. Manhattans West Side wurde fast komplett gesperrt, Polizisten fluteten die Gegend, ein Bombenentschärfungskommando rückte sicherheitshalber an.

Gouverneur Cuomo, Bürgermeister Bill de Blasio, Polizeipräsident James O’Neill und der New Yorker FBI-Chef Bill Sweeney, ein altgedienter Terrorexperte, inspizierten den Tatort. Kurz darauf traten sie vor die Presse. „Dies ist ein sehr schmerzhafter Tag für unsere Stadt“, sagte de Blasio. „Unsere Seele lässt sich niemals von einem Gewaltakt bewegen, von einem Terrorakt, der uns einschüchtern sollte. Wir wurden bereits früher einmal auf den Prüfstand gestellt, ganz in der Nähe der heutigen Tragödie. Wir werden darauf antworten, wie wir es immer tun. Wir bleiben unverzagt.“

Ähnlich klang das auch bei Cuomo: „Wir lassen sie nicht gewinnen. Wenn wir unser Leben ändern, gewinnen sie und wir verlieren.“

Einen Autoanschlag wie jetzt gab es in New York noch nie

Solche Worte sind hier fast zum Klischee geworden. Seit 9/11 ist New York City die bestgesicherte, am stärksten patrouillierte Metropole der USA. Die enge Zusammenarbeit zwischen Polizei und FBI in der Joint Terrorist Task Force (JTTF), einer 1100-köpfigen Spezialeinheit, gilt als vorbildlich.

„Doch die Herausforderung wächst dauernd“, sagte New Yorks Ex-Polizeichef Bill Bratton im TV-Sender CNN. „Man kann vieles verhindern, aber nicht alles.“

Die letzten Anschläge in der Stadt ereigneten sich im September vorigen Jahres, als in Manhattan und in New Jersey mehrere Bomben 31 Menschen verletzten, der Täter bekannte sich als Qaida-Sympathisant. Ein ähnlich motivierter Terrorist zündete 2010 am Times Square eine Autobombe, die aber nicht explodierte. Einen Truck-Anschlag wie jetzt gab es in New York noch nie, den kannte man bisher nur aus Europa oder dem Nahen Osten.

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Anschlag in Manhattan: Tod auf dem Radweg

Die Hintergründe des jüngsten Anschlags blieben zunächst ebenso offen wie eine mögliche Verbindung zu internationalem Terrorismus. Cuomo spricht von einem „Einzeltäter“: „Zu diesem Zeitpunkt gibt es keine Beweise, die eine breitere Verschwörung nahelegen.“ In der Nacht meldeten mehrere US-Medien unter Berufung auf Polizeikreise, Saipov habe Notizen auf Arabisch hinterlassen, in dem er sich auf den „Islamischen Staat“ (IS) berufen habe.

Präsident Donald Trump verlor keine Zeit, die noch laufenden Ermittlungen zu politisieren. „Wir dürfen nicht zulassen, dass der IS zurückkehrt und in unser Land kommt, nachdem wir ihn im Nahen Osten und anderswo besiegt haben“, twitterte er schon kurz nach dem Anschlag. „Genug!“

Trumps kontroverses Einreiseverbot für mehrheitlich muslimische Staaten ist mehrmals vor Gericht gescheitert. In New York kamen solche Parolen immer schon schlecht an. Bis zu 800.000 Muslime leben in der Millionenstadt – und mehr als 1000 arbeiten als Polizisten.

Auch die traditionelle Halloween-Parade im Village fand am Dienstagabend wie geplant statt, unter starkem Polizeischutz. Cuomo und de Blasio marschierten demonstrativ mit, ohne Kostüme. Jenseits der Sixth Avenue erstrahlte das neue World Trade Center in den Nationalfarben Rot, Weiß, Blau.

AP

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