Am Tag fünf nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten herrscht in Europa tiefe Verunsicherung. Das wurde auch beim Treffen der EU-Außen- und Verteidigungsminister am Montag in Brüssel deutlich. Bisher ist kein außenpolitisches Programm Trumps bekannt, manche EU-Diplomaten bezweifeln gar, ob er überhaupt eines hat. Bekannt sind lediglich Trumps Wahlkampfsprüche – und die haben Ängste vor einem Bruch der USA mit jahrzehntealten außenpolitischen Traditionen befeuert.
Die EU-Minister demonstrierten am Montag zumindest in einem Punkt Einigkeit: Europa muss mehr Verantwortung übernehmen. „Das war uns immer klar“, sagte Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, „unabhängig vom Ausgang der US-amerikanischen Wahl.“
Doch das Ergebnis des Treffens in Brüssel ist überschaubar. Das Abschlussdokument formuliert drei Kernaufgaben der EU. Sie soll künftig in der Lage sein,
- auf externe Konflikte und Krisen zu reagieren,
- Partnerländern beim Aufbau von Sicherheitsstrukturen zu helfen, etwa mit Beratungs- und Trainingsmissionen,
- die EU und ihre Bürger zu beschützen.
Dazu soll die EU bis Mitte 2017 ein permanentes Planungs- und Führungszentrum für militärische und zivile Auslandseinsätze bekommen und bei der Sicherheit und Verteidigung insgesamt unabhängiger und reaktionsschneller werden.
Genannt wird auch die „ständige strukturierte Zusammenarbeit“, kurz SSZ. Der Mechanismus aus dem Vertrag von Lissabon erlaubt es einer Gruppe von Mitgliedsländern, etwa bei der Verteidigung intensiver zu kooperieren – und auf diese Weise notorische Bremser wie etwa Großbritannien hinter sich zu lassen.
Die Minister könnten die SSZ mit qualifizierter Mehrheit beschließen – also auch gegen den Widerstand Großbritanniens. Denn die haben am Montag nochmals deutlich gemacht, dass sie alle Pläne der EU für ein Zusammenrücken in Sachen Verteidigung torpedieren wollen. Der britische Außenminister Boris Johnson warnte davor, dass die EU der Nato Konkurrenz machen und „die fundamentale Sicherheitsarchitektur der vergangenen 70 Jahre untergräbt“. Verteidigungsminister Michael Fallon ermahnte die anderen EU-Staaten, lieber ihre Verteidigungsausgaben zu erhöhen, „anstatt ein teures EU-Hauptquartier zu planen oder von einer EU-Armee zu träumen“.
Den Bruch mit London wollen die anderen Staaten offenbar dennoch nicht riskieren. Im Abschlussdokument des Ministertreffens heißt es lediglich, dass man „das Potenzial einer einzelnen und offenen SSZ erkunden“ wolle. Die EU-Außen- und Sicherheitsbeauftragte Federica Mogherini beeilte sich nach dem Treffen zu betonen, was mit den Plänen alles nicht gemeint sei: Es gehe nicht um eine EU-Armee, auch nicht um ein Hauptquartier wie bei der Nato, nicht um eine Konkurrenz zur Nato und erst recht nicht um die Verteidigung des EU-Territoriums. Nur die Strukturen und Werkzeuge der EU sollten besser werden. Der jetzt beschlossene Fahrplan sei ein „großer qualitativer Sprung“.
Polen baut paramilitärische Truppe auf
Andere sind sich da offenbar nicht so sicher – etwa jene Länder, die sich von Russland bedroht fühlen. So hat Polen am Montag angekündigt, bis 2019 eine paramilitärische Truppe mit 53.000 Freiwilligen aufzubauen. Sie sei der „preiswerteste Weg, um die Stärke der Streitkräfte und die Verteidigungskapazitäten des Landes zu erhöhen“, sagte Verteidigungsminister Antoni Macierewicz. Und sie sei die „beste Antwort“ auf die von Russland ausgehende Gefahr eines „hybriden Kriegs“, nämlich das Einsickern von Militärangehörigen auf polnisches Territorium so wie in der Ukraine.
Dabei hatte es an großen Worten vor dem Treffen nicht gemangelt. „Die EU ist eine Supermacht“, sagte Mogherini am Montagmorgen. Bereits am Tag nach der US-Wahl hatte sie betont, in einer sich wandelnden Welt werde Europa „mehr und mehr eine unverzichtbare Macht sein“, eine „indispensible power“. Es war eine geradezu aufreizendes Spiel mit dem amerikanischen Mythos der „indispensible nation“. Auch der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn sagte: „Wir sind eine Supermacht.“ Die EU müsse „außenpolitisch Gewicht bekommen“. Die „New York Times“ hat Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Trumps Wahlsieg gar zur „letzten Verteidigerin des liberalen Westens“ erklärt.
Doch von der Fähigkeit, komplexe Militäroperationen zu führen oder gar das Nato-Bündnisgebiet gegen Russland zu verteidigen, sind die Europäer ohne die USA meilenweit entfernt. Zudem erscheint eine stärkere Einigung der Europäer keineswegs als einziges mögliches Szenario, sollten sich die Amerikaner schrittweise aus ihren transatlantischen Verantwortungen verabschieden. Möglich erscheint auch, dass insbesondere einige osteuropäische Staaten den Glauben an die Kraft des Westens verlieren und sich wieder stärker in Richtung Russland bewegen.
Erste Anzeichen dafür waren am Mittwoch womöglich schon zu beobachten: In Bulgarien wurde der frühere Luftwaffengeneral Rumen Radew zum Präsidenten gewählt – und kündigte noch in der Wahlnacht an, nun mit seinen EU-Kollegen über ein Ende der Sanktionen gegen Russland zu beraten. In Moldau wurde Igor Dodon neuer Präsident, auch er ein Freund Moskaus. Er werde schon bald zu Sondierungsgesprächen nach Russland aufbrechen, kündigte Dodon an. Im Wahlkampf hatte er seinem Volk versprochen, was auch anderswo Schule gemacht hat: ein Referendum über das Verhältnis zur EU.
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