US-Wahl 2016
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Am Montag vor der Wahl war ich in New Hampshire und habe beides gesehen, das alte und das neue Amerika, nur in der falschen Reihenfolge, zuerst die Zukunft, dann die Vergangenheit.

Nachmittags war ich in Durham bei der Wahlkampfveranstaltung von Barack Obama, dem 44. Präsidenten der USA, der für Hillary warb. Es war ein Gefühl von Melancholie in der riesigen Eishockeyhalle der Universität, es war ein Gefühl von Abschied.

Ein anderes Land, eine Stunde entfernt

Er war ihr Präsident, die 18-jährigen College-Kids kannten ja praktisch nur ihn. Es war ihr Amerika, das er repräsentierte, ein modernes, multikulturelles, offenes Land, das noch einen weiten Weg vor sich hat, eine gerechte Gesellschaft zu sein, aber zusammen, das war das Gefühl, zusammen würden sie es schaffen.

Es war schön, es war bewegend, und Obama sprach mit einer Euphorie, Empathie und Eloquenz, die einmal mehr zeigte, dass der Anfang aller Demokratie die Rede ist, weil das Gespräch die Grundlage von Verständnis und Versöhnung ist.

Danach fuhr ich nach Manchester, New Hampshire, eine Stunde entfernt, ein anderes Land. Jedenfalls fühlte es sich so an in der Universitätshalle, in der sich die Trump-Wähler versammelt hatten, der 45. Präsident der weit weniger Vereinigten Staaten von Amerika, eine Menge mit roten Baseballkappen, eine andere Art von Menge als die von Obama.

Diese Menge war vereint in der Wut, sie war vereint in der Kränkung, real oder imaginiert, sie war vereint in dem Gefühl, dass ihnen ihr Land genommen wurde und dass sie es sich zurückholen würden, bei dieser Wahl oder, wenn es sein musste, mit anderen Mitteln, sie haben ja alle Waffen, das macht sie schließlich in ihren Augen zu freien Amerikanern – das ist die andere, undemokratische Grundlage des menschlichen Zusammenlebens, das Recht des Stärkeren, das war es, was sie einforderten an diesem Abend.

Wilde weiße Männer

In dieser Halle, unter diesen Menschen zeigte sich deshalb auch, dass es zu einfach ist und zu harmlos, wenn man davon spricht, dass dieses Land, die Vereinigten Staaten von Amerika, gespalten ist: Dieses Land befindet sich in einem stillen Bürgerkrieg, seit langen Jahren schon schon, und die einzige Hoffnung nach dieser desaströsen Wahl ist für mich, dass der politische Prozess genau die Gewalt, die in einer Gesellschaft ist, kanalisieren und zivilisieren kann – das ist ja der Anfang der Demokratie und die Geschichte der „Orestie“ im antiken Athen.

Wer aber kämpft in diesem Bürgerkrieg? In Manchester bei Donald Trump waren es weiße Veteranen und weiße Männer, die die Bibel schwenkten, es waren wilde weiße Männer mit großen Bäuchen und den dazugehörigen Frauen, es waren junge glattrasierte weiße Männer um die 20, es waren weiße Familien, die ihre Kinder mitgebracht hatten, die Schilder schwenkten und die Mütter anlächelten und mit Inbrunst riefen: „Lock her up, lock her up!“

Es war, mit anderen Worten, ihr Change-Moment, wie es 2008 die Wahl von Barack Obama für das liberale Amerika war. Die Wahl von Donald Trump, das war in diesem Raum von 8000 bis 10.000 Menschen deutlich, sollte ihre Version von Veränderung sein. Das hier war ihre Chance, ihre letzte Chance, wie es die Redner vor Trump sagten, Teil einer Geschichte zu sein, die sie selbst schreiben würden.

Sie wollten sich befreien, sie wollten Bestätigung, sie wollten hören, wie laut sie brüllen konnten, und mit jedem „Lock her up!“ wurde deutlich, wie tief, wie existenziell, wie unversöhnlich diese Wut war, ist, sein wird, die kommenden Jahre, auch wenn Trump verloren hätte.

Der Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur

Was wäre dann passiert? Das habe ich mich an diesem Abend gefragt, weil die Gewalt so präsent war in dieser Menge, die eine andere Art von Menge war als die von Obama – die eine Menge war wie ein Netz von Individuen, die ein gemeinsames Ziel haben, die andere Menge war wie eine Mauer aus Menschen, die einen gemeinsamen Feind haben.

Das ist, glaube ich, der Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur, und deshalb war ich so besorgt nach diesem Besuch: Besorgt darüber, dass viele, die Demokraten, die Medien, nicht sehen wollten, dass sich diese krasse Wut in Stimmen für Trump übersetzen würde, besorgt darüber, was die Grundlage für Gemeinsamkeit mit diesen Menschen sein könnte.

Natürlich könnte man sagen: Sie sehen dich genauso, sie denken, du bist jemand, der sie verachtet, der sie ausbeutet, der sie dem Islam zum Fraß vorwirft – und der traurigste Moment dieses an traurigen Momenten so reichen Abends war dann auch, als Donald Trump wieder einmal ansetzte zur Hetze und zum Hass gegen alle, alle, alle syrischen Flüchtlinge, was für Trump-Anhänger synonym ist mit Terrorist.

Die Angst also, mit der Donald Trump auf so verantwortungslose wie verwerfliche Art hantiert, ist das, was die eine Menge von der anderen unterscheidet – und deshalb greift, glaube ich, auch das Argument nicht, dass die Abwehrschlacht der Weißen, dieser „whitelash“, wie es nun in den USA genannt wird, eine irgendwie nachvollziehbare Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte ist.

Eine Emotion, unerreichbar für rationale Argumente

Es gibt Gründe, warum Donald Trump gewonnen hat, und ich habe sie schon vor der Wahl beschrieben. Aber diese Gründe hatten wenig zu tun mit der Stimmung in dieser Halle, mit der Art und Weise, wie die zwei blassen Jungs vor mir und das zehnjährige Mädchen ein paar Reihen weiter schrien, bis man die Adern an ihrem Hals sehen konnte.

Diese Gründe sind real, und es ist Teil der Analyse und Selbstanalyse, die nun nötig ist, dass sich der liberale Teil der Bevölkerung, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa und speziell in Deutschland, fragt, was zu tun ist, um der Ungleichheit und Ungerechtigkeit im jeweiligen Land zu begegnen – eine Ungleichheit und Ungerechtigkeit, die durch die Wahl Trumps, wie aller rechtsextremen Kandidaten, nur wächst.

Genauso real aber ist die Irrationalität, mit der Trump so plastisch agiert und die so überzeugend zu sein scheint für Menschen, die zur Realität ein gespaltenes Verhältnis haben, weil sie sie mit Abstieg oder Ausgrenzung verbinden, ein Gefühl, eine Emotion, die manchmal unerreichbar scheint für rationale Argumente.

Diese Irrationalität war das Verbindende an diesem Abend in Manchester, am Abend, bevor geschah, was sich die eine Hälfte von Amerika nicht vorstellen konnte. „Drain the swamp, drain the swamp“, rief es aus 10.000 Kehlen, als Trump von Washington sprach, der Sumpf, den es trockenzulegen gilt, und fast kann man froh sein, dass das nun mit politischen Mitteln passieren soll, wie auch immer man das findet, und nicht mit den Mitteln des offenen Bürgerkriegs.

„Wird er jetzt die Mauer bauen?“

Die Gewalt allerdings, die in dieser Halle war und dieser Wahl, wird ihren Weg finden, sie wird nicht verschwinden durch den politischen Prozess, sie wird sich verbreiten, in den Alltag hinein, in die Beziehung zwischen Menschen, Minderheiten, Rassen, die Gewalt, die Trump freigesetzt hat, und das ist die bleibende Gefahr dieser katastrophalen Wahl.

Vielleicht ist es dabei tatsächlich eine Art Sehschwäche des liberalen Blicks, die Gewalt und die Konflikte einer Gesellschaft nicht als solche zu erkennen und zu adressieren – vielleicht aber ist die Liberalität, also die Gleichheit der Menschen als Menschen, auch gerade die richtige Antwort auf diese Gewalt.

Das ist die Grundfrage der nächsten vier Jahre, für die USA und für den Rest der Welt: Werden Institutionen halten, die sich manchmal sehr alt anfühlen, weil die Grundlagen für ihre Bedingungen vor mehr als 200 Jahren erschaffen wurden? Oder, anders gesagt, wie kann man sie so verändern, dass sie sich neu anfühlen, sie sind ja immer noch die Grundlage unseres Zusammenlebens?

„Wird er denn jetzt die Mauer bauen“, fragte mich mein siebenjähriger Sohn am Morgen nach der Wahl. „Er kann das doch nicht einfach allein entscheiden.“

Werden die Institutionen halten? Die Reise von Obama zu Trump war eine Reise vom Anfang zum Abgrund der Demokratie. Ob sie hält, die Demokratie, liegt an allen, von jetzt an und immer schon, denn sie gehört allen, die Demokratie, nie einem.

Das habe ich meinem Sohn gesagt, das habe ich ihm versprochen.

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