Donald Trump liebt das Chaos. Der US-Präsident widerspricht sich andauernd, er ändert seine Meinung im Stundentakt, er lässt die Öffentlichkeit seinem nächsten Tweet entgegenbangen. „We’ll see“, sagt er gerne, schauen wir mal. Von den langfristigen Folgen seines Tuns scheint sein Bewusstsein jedenfalls völlig ungetrübt. „Ich habe ein Bauchgefühl“, prahlte er letztes Jahr, „und mein Bauchgefühl verrät mir manchmal mehr, als mir das Gehirn eines anderen je sagen kann.“
Schon oft führte das zu politischen Turbulenzen, die, bevor sie sich beruhigen konnten, schon wieder von den nächsten Tiefausläufern erfasst wurden. Ob Trumps brutale Migrantenpolitik, sein fünfwöchiger Regierungs-Shutdown, mehrere schwelende Handelskriege oder seine Hassliebe zu diversen Diktatoren, allen voran Nordkoreas Kim Jong Un: Die ganze Welt lebt und leidet unter dem täglichen Fiebertraum des US-Präsidenten.
Doch jetzt hat Trumps notorisches Bauchgefühl eine geopolitische und humanitäre Katastrophe ausgelöst.
Mit dem abrupten, auf Twitter verkündeten Truppenabzug aus Nordsyrien verriet Trump die Kurden, die bisher zusammen mit den Amerikanern gegen den Islamischen Staat (IS) gekämpft hatten. Er nahm ihnen den Schutz und trieb sie in die Arme des syrischen Regimes, indem er indirekt grünes Licht für den Einmarsch der Türkei gab.
Interessiert uns nicht, sagt Trumps Bauchgefühl.
„Sie halfen uns im Zweiten Weltkrieg nicht, sie halfen uns in der Normandie nicht“, nörgelt Trump über die Kurden – eine absurde Falschinformation, er will das irgendwo auf einer Website gelesen haben.
Und die Katastrophe hat erst begonnen:
Hunderte IS-Angehörige verschwanden bereits aus Haftlagern, von Russland gestützte Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad drängen ins Vakuum, eine neue Flüchtlingskrise bahnt sich an. Tausend US-Soldaten stecken derweil noch zwischen den Fronten, einige gerieten unter Beschuss des Nato-Partners Türkei und sollen nun per Luftbrücke evakuiert werden.
Das Ansehen der USA, ihre Verlässlichkeit als Bündnis- und Verhandlungspartner, ist weitweit und auf lange Sicht beschädigt. Gestärkt sind Russland, Iran, Syrien und der IS, den Trump „von den Toten wiedererweckt hat“, so ein US-Kommentator.
Interessiert uns nicht, sagt Trumps Bauchgefühl.
Daran ändern auch die Sanktionen wenig, die er am Montagabend gegen Istanbul erließ, pro forma fast, und ganz offenbar nur, um den empörten Kongress zu beschwichtigen. Zur Begründung bezeichnete er genau das als „nationalen Notstand“, was er selbst zuvor abgesegnet hatte – in einem Telefonat mit Recep Tayyip Erdogan, das dem US-Truppenabzug vorausging.
Nicht Trump sei schuld, beharrte einer seiner Berater am Montagabend, sondern Erdogan.
Trump soll „untervorbereitet“ in dieses Gespräch gegangen sein, wie so oft. Er habe versäumt, Erdogan vor dem Einmarsch zu warnen, schrieb die „New York Times“. Vizepräsident Mike Pence dementierte den Bericht zwar am Montag, doch wer glaubt dieser Regierung noch?
Ausgeblutet und demoralisiert
Dass es an Kompetenz und damit an Glaubwürdigkeit mangelt, ist kein Wunder. Das State Department ist ausgeblutet, das Pentagon demoralisiert. Der Nationale Sicherheitsrat wurde auf eine Rumpfmannschaft von Jasagern reduziert. Viele Berater amtieren ohnehin nur „kommissarisch“, also auf Abruf. Trump bevorzugt das, weil es Widerspruch erstickt.
Noch im Dezember hatte die Idee eines Syrien-Abzugs den damaligen Verteidigungsminister Jim Mattis zum Rücktritt getrieben. Seitdem sind alle Warnungen, sofern es sie noch gab, offenbar verhallt.
„Jeder, der Syrien helfen will, die Kurden zu beschützen, ist mir recht, ob Russland, China oder Napoleon Bonaparte“, twitterte Trump am Montag unbeschwert. „Ich hoffe, sie schlagen sich toll, wir sind 7000 Meilen entfernt!“
Donald Trump liebt das Chaos. Und nun ist das Chaos da.
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