Der Terroranschlag am Beşiktaş-Stadion in Istanbul vom vergangenen Wochenende zeigte wieder die tiefe Bedrohung der Türkei durch Terroristen. Mal werfen PKK-Terroristen die Bomben, mal die IS-Dschihadisten. Das sollte man nicht kleinreden, wie es vor allem linke EU-Politiker getan haben. Der Terror der kurdischen PKK und ihrer Filialen sieht überhaupt nicht nach Freiheitskampf aus, sondern nach dem Versuch, die Freiheit der Bürger durch nackte Angst zu ersetzen.

Im Südosten der Türkei zerstört die PKK mutwillig den Lebensraum kurdisch-türkischer Bürger. Sie bombte schon 2015, als Präsident Erdoğan nach der verlorenen Wahl seiner AKP im Frühsommer den kurdischen Friedensprozess beerdigte. Sie tat alles dafür, dass dieser Prozess keine Chance hatte. Und sie trug den Krieg bewusst in die Städte, worauf die türkische Regierung so töricht wie brutal reagiert hat. Im Ergebnis ähneln die Zerstörungen einiger kurdisch-türkischer Städte der Silhouette Aleppos.

Längst aber ist Größeres im Gange. Die Serie furchtbarer Terroranschläge im Nahen Osten von Kairo bis Mogadischu vom vorigen Sonntag zeigt: Das große nahöstliche Konfliktgebiet reicht bis in die Türkei. Die Regierung baut zwar eine solide Dreimetermauer an der türkisch-syrischen Grenze, aber der Krieg findet längst auf beiden Seiten der in Beton gegossenen Linie statt. Die PKK und die IS-Dschihadisten stehen hier und dort. Wir sehen eine Entgrenzung des Terrors und den Angriff auf staatliche Integrität. Wie in so vielen Nahoststaaten.

Das Schlimme ist, dass die Bedrohung nicht nur von außen und innen zugleich kommt, sondern dass die türkische Regierung selbst die Grenzen und damit deren Unverletzlichkeit infrage stellt. Die Regierungspresse wedelt dazu mit osmanischen Karten. Drei aktuelle Beispiele dafür.

Die türkische Armee ist mit Panzern und Artillerie nach Nordsyrien eingerückt. Sie versucht dort, die syrisch-kurdische YPG zu bekämpfen, die mit der PKK verwandt ist. Den Amerikanern sagen die Türken, dass sie gegen die IS-Dschihadisten vorgehen. Doch wenn man der Schussrichtung der türkischen Artillerie folgt, dann geht es irgendwie immer gegen die Kurden. Alle sind irgendwie genervt von den türkischen Sonderoperationen jenseits der Grenze, ob nun Russen, das syrische Regime, Amerikaner oder die Vermittler der Vereinten Nationen. Aber am Ende schaden die türkischen Expeditionen vor allem der Türkei selbst. Wenn sie mit ihren Soldaten in Syrien eingreift, macht sie sich verwundbarer für Angriffe von dort.

Zweites Beispiel ist der Nordirak. Dort glaubt die türkische Regierung, sie müsse sich unbedingt an der Rückeroberung Mossuls durch die Anti-IS-Koalition beteiligen. Regierungsnahe Zeitungen schwadronieren vom „türkischen“ Mossul, Präsident Erdoğan sagt, er akzeptiere Grenzen, aber keine „Grenzen für die Herzen“. Diese ziehen jetzt türkische Truppen im Nordirak, obwohl sie von Bagdad dazu nicht eingeladen wurden. Der irakische Premier hat Protest in Ankara und bei den UN eingelegt. Erdoğan antwortete ihm, er solle sich nicht so aufblasen: „Du bist nicht meine Liga!“ Gute Nachbarschaft in Nahost.

Das dritte Beispiel betrifft die EU. Mehrmals hat der türkische Präsident die Westgrenzen der Türkei hinterfragt. Im Herbst schockierte Erdoğan Griechen und säkulare Türken gleichermaßen, als er das Abkommen von Lausanne 1923 beklagte und die Tatsache, dass die damalige Führung unter Mustafa Kemal Atatürk „Inseln weggeben“ hätte. Lausanne ist die heilige Bundeslade der türkischen Republik. In diesem Vertrag werden die türkischen Grenzen garantiert, die seit fast hundert Jahren nicht infrage gestellt wurden. Nun tut es Erdoğan mit Blick auf die Ägäis: „Das waren unsere Inseln. Dort sind unsere Moscheen.“ Offen ist, was Erdoğan mit dem Geschichtsgeschwafel bezweckt. Will er wirklich die Inseln – oder einfach eine Atmosphäre der Angst schaffen, in der sich niemand mehr sicher fühlt?

Manche glauben, Erdoğan eifere seinem Lehrmeister Präsident Putin nach: Armeeeinsätze in wirtschaftlich schwieriger Lage, Kriegsspiele statt Brot fürs Volk. Der Unterschied: Russland hat keinen Krieg im Landesinnern. Die Türkei schon. Die Terrorstrategen der PKK denken weiter, auch wenn sie offiziell nur Autonomie zum Ziel erklären. Wer an Grenzen rüttelt, muss damit rechnen, dass es andere irgendwann auch tun. Wenn in den Kriegen des Nahen Ostens die Grenzen verschwinden, hat die Türkei viel zu verlieren.

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