Ein Entwurf der umstrittenen Verfassungsreform, die in der Türkei ein Präsidialsystem ermöglichen soll, ist im Parlament eingebracht worden. Das berichteten das staatliche Fernsehen sowie die Nachrichtenagentur Anadolu. Mit dem Gesetz will Präsident Recep Tayyip Erdoğan seine Macht stark ausweiten.
Die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die von Erdoğan mitbegründet wurde, will ein Präsidialsystem nach Vorbild von Frankreich oder den USA einführen. Im Kern sollen mit der Reform die Befugnisse des Ministerpräsidenten auf den Präsidenten übertragen werden. Damit könnte Erdoğan per Dekret regieren, wie es ihm bereits durch den seit Mitte Juli verhängten Ausnahmezustand möglich ist.
Erdoğan verfolgt das Ziel eines Präsidialsystems bereits, seit er 2014 per Direktwahl zum Präsidenten der Türkei gewählt wurde. Die nun eingebrachte Reform soll die Türkei laut dem Ministerpräsident Yıldırım vor weiteren Umstürzen wie dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli retten. „Wir arbeiten weiter daran, das System zu ändern, um sicherzustellen, dass Instabilität dauerhaft aus der politischen Geschichte der Türkei verschwindet“, sagte Yıldırım. In der Türkei wurden bereits in den Jahren 1960, 1971 und 1980 die Regierungen vom Militär gestürzt.
Laut Yıldırım soll der Präsident zukünftig den Entwurf für den Haushalt der Regierung einbringen. Andere Gesetzesentwürfe sollten weiterhin vom Parlament kommen. Welche Angelegenheiten durch Dekret des Präsidenten und welche durch Gesetze des Parlaments geregelt würden, werde in dem Entwurf für die Verfassungsänderung dargelegt. Außerdem solle der Präsident künftig einer Partei angehören dürfen. Bislang schreibt die Verfassung dem Staatschef parteipolitische Neutralität vor.
Referendum statt Reform
Bisher hat die Regierungspartei nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament, um die Reform durchzusetzen. Selbst mit den Stimmen der nationalistischen Oppositionspartei MHP wären die nötigen 367 Stimmen nicht zusammengekommen. Daher dürfte die AKP versuchen, die Verfassungsänderung am Parlament vorbei über ein Referendum zu beschließen. In den vergangenen Wochen konnte Regierungschef Yıldırım die Unterstützung des Vorsitzenden der ultrarechten Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), Devlet Bahceli, für den umstrittenen Schritt gewinnen. Die AKP verfügt im Parlament nur über 316 Stimmen und ist daher auf die Unterstützung von mindestens 14 MHP-Abgeordneten angewiesen, um mit 330 Stimmen ein Referendum über die geplante Verfassungsänderung anzusetzen.
Sowohl die kemalistische Republikanische Volkspartei (CHP) als auch die prokurdische Demokratische Partei der Völker (HDP) lehnen die Pläne für das Präsidialsystem ab. Sie befürchten, dass die Reform vor allem der Stärkung der persönlichen Macht Erdoğans dient. Der Chef der prokurdischen Partei HDP etwa warnte vor einer Diktatur. „Niemand soll uns unter dem Vorwand, dass das parlamentarische System nicht funktioniert, eine Diktatur verkaufen“, sagte Selahattin Demirtaş in einem Interview mit der Zeitung BirGün. „Das nennt man eine eiskalte Diktatur und den Versuch, den Faschismus zu institutionalisieren.“
Der Entwurf sollte bereits Freitag ins Parlament kommen, er verzögerte sich jedoch wegen Diskussionen zwischen der AKP und MHP. Vize-Ministerpräsident Nurettin Canikli zeigte sich zuversichtlich, dass das Parlament das Referendum beschließt, welches im März, April oder Mai stattfinden soll. Die Reformen sollen laut Canikli 2019 in Kraft treten, wenn Präsidentschafts- und Parlamentswahlen stattfinden.
Details der Reform sind bisher nicht veröffentlicht – und womöglich noch immer in der Diskussion. Der Widerstand der Opposition und die Skepsis in weiten Teilen der Bevölkerung ist groß. Zuletzt war der Ausnahmezustand in der Türkei um weitere 90 Tage verlängert worden. Er dauert damit mindestens bis Mitte Januar. Unter dem Vorsitz Erdoğans hatte das Kabinett die Verlängerung beschlossen, die das Parlament danach billigte. Erdoğan hatte zur Begründung gesagt, damit solle ein effektiverer Kampf gegen den Terrorismus ermöglicht werden. Eine weitere Verlängerung schloss er ausdrücklich nicht aus.
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