Der Vorsitzende der größten türkischen Oppositionspartei CHP, Kemal Kılıçdaroğlu, hat die Regierung und Präsident Recep Tayyip Erdoğan in einem Interview der ZEIT kritisiert. Kılıçdaroğlu sagte: „Es wird Rache geübt an jedem, der etwas Abweichendes sagt, etwas anderes denkt oder die Regierung kritisiert.“ Bei all diesen Entwicklungen gehe es darum, die Türkei einem einzelnen Mann gefügig zu machen.
CHP-Chef Kılıçdaroğlu bezog sich mit seiner Kritik vor allem auf die jüngsten Festnahmen von Journalisten der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet und Abgeordneten der prokurdischen Partei HDP. Gegen neun Cumhuriyet-Mitarbeiter war vergangene Woche ein Haftbefehl erlassen worden, zudem wurden die Vorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, verhaftet. Die Regierung rechtfertigte diese Maßnahmen mit dem Kampf gegen den Terror. International lösten sie aber Kritik an einem immer autoritärer regierenden Erdoğan aus. Der hat nun außerdem alle Abgeordneten der CHP wegen „schwerer Beleidigung“ angezeigt. Unter den Betroffenen ist auch Kılıçdaroğlu.
Der Oppositionspolitiker sagte der ZEIT, dass es keine Garantie dafür gebe, dass nicht auch er als Nächstes festgenommen werde: „Das Land wird mit Druck, mit Drohungen und Erpressung geführt.“ Seit Verhängung des Ausnahmezustandes am 21. Juli gebe es keine unabhängige Justiz mehr. Die Richter selbst seien besorgt, dass sie ins Gefängnis kommen, sollten sie nicht von der Regierung erwünschte Urteile verkünden. „Es werden keine fairen Urteile gesprochen“, sagte Kılıçdaroğlu. Die Regierung mache mit Dekreten, was sie wolle. Sie nutze jede Gelegenheit, um ihre Macht zu festigen.
Ähnlich äußerte sich auch Can Dündar in seiner wöchentlichen Kolumne für die ZEIT. Der ehemalige Chefredakteur der Cumhuriyet, der im deutschen Exil lebt, sagte, Erdoğan nutze den gescheiterten Putschversuch zur Zementierung seiner Macht aus. Erdoğan habe der Gewaltenteilung ein Ende gesetzt und sich zum Alleinherrscher über Legislative, Exekutive und Judikative gemacht. Diese De-facto-Situation wolle Erdoğan nun in der Verfassung verankern.
Erdoğan plane die vollständige Ausschaltung der Opposition
Zur Einführung des von ihm gewünschten Präsidialsystems fehlten Erdoğan bislang die nötigen Stimmen. Ein weiteres großes Hindernis habe Erdoğan mit der Verhaftung der Cumhuriyet-Journalisten trotzdem aus dem Weg geräumt, sagte Dündar. Die Zeitung stelle „in der derzeitigen Atmosphäre nahezu totaler Mediengleichschaltung das schlagkräftigste widerständige Presseorgan“ dar.
Dündar skizzierte Erdoğans Agenda für die Zukunft: „Er hat vor, in den Wintermonaten die Opposition vollständig auszuschalten.“ Im Frühjahr wolle er dann ohne jeden Widerstand in einem Referendum über das Präsidialsystem abstimmen lassen.
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