Der Chefredakteur Murat Sabuncu und acht weitere Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ sitzen in Untersuchungshaft. Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete, ein Gericht habe am Samstag Haftbefehle erlassen.
Die Journalisten waren am Montag festgenommen worden. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK und die Bewegung um den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen zu unterstützen. Beide gelten in der Türkei als Terrororganisationen. Die türkische Führung macht Gülen für den Putschversuch vom 15. Juli verantwortlich.
Binali Yildirim
Die Festnahmen hatten weltweit für teilweise heftige Kritik gesorgt. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz etwa nannte die Aktion „eine weitere rote Linie, die gegen die Meinungsfreiheit überschritten wurde“. Der türkische Premierminister Binali Yildirim antwortete: „Was hat deine Linie schon für Gültigkeit? Über deine Linie ziehen wir eben eine andere.“
Ein „Cumhuriyet“-Reporter sagte SPIEGEL ONLINE nach den Festnahmen: „Wir haben größere Angst denn je. Wir verlieren unsere Jobs und wissen: Echten Journalismus wird es in der Türkei bald nicht mehr geben.“ Bislang erschien die Zeitung mit einer Auflage von rund 50.000 Exemplaren. Sie erreicht vor allem Intellektuelle und kritische Köpfe (Lesen Sie hier mehr über die Bedeutung der Zeitung für die Türkei)
Die türkische Regierung geht seit Jahren gegen kritische Medien vor. Türkische Behörden nahmen schon den Vorgänger von Sabuncu ins Visier: Der frühere „Cumhuriyet“-Chefredakteur Can Dündar wurde gemeinsam mit dem Ankara-Korrespondenten Erdem Gül angeklagt und verurteilt, nachdem die Zeitung über Waffenlieferungen der Türkei an Extremisten in Syrien berichtet hatte. Dündar gelang es, ins Ausland zu flüchten.
Can Dündar
Dündar hatte die Reaktion der Bundesregierung als „wirklich schwach“ kritisiert. Die Bundesregierung hatte zunächst ihre „Sorge“ über die Verhaftungswelle ausgedrückt und erklärt, die Pressefreiheit sei ein „hohes Gut“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte das Vorgehen Ankaras später dann als „in höchstem Maße alarmierend“. Das „hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit“ werde in der Türkei „immer wieder aufs Neue eingeschränkt“.
Seit dem Putschversuch im Juli hat die Regierung den Druck auf alle Kritiker massiv verstärkt. So nahm die Polizei in der Nacht zum Freitag bei Anti-Terror-Razzien die beiden Co-Parteivorsitzenden der prokurdischen Oppositionspartei HDP, Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag, sowie mehrere HDP-Abgeordnete fest. Die HDP ist mit 59 Sitzen die drittgrößte Partei im Parlament und die größte politische Vertretung der Kurden. Trotz internationaler Proteste wurden am Freitagnachmittag Haftbefehle gegen die beiden Spitzenpolitiker sowie sieben weitere HDP-Abgeordnete ausgestellt.
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