Es ist eine Personalie, über die in Brüssel niemand sprechen will, noch nicht einmal bei internen Terminen. Als Spitzenbeamte am Montagnachmittag zusammenkamen, um die wöchentliche Sitzung der EU-Kommissare vorzubereiten, fällt über den Fall kein Wort. Dabei sollen die 28 EU-Kommissare schon am Mittwochvormittag darüber entscheiden.

Der Mann, um den ein solches Geheimnis gemacht wird, ist Giovanni Kessler, 61. Der Italiener war sieben Jahre lang Chef des europäischen Amts für Betrugsbekämpfung Olaf. Am 15. September reichte er seinen Rücktritt ein, um Chef des Zolls in Italien zu werden. Seine Berufung will die italienische Regierung trotz Protesten im Parlament durchdrücken.

Aus Brüsseler Sicht ist die Personalie pikant, weil der Mann für seinen neuen Job in Italien von der Kommission nicht beurlaubt werden soll, sondern, so die Idee, „aus dienstlichen Gründen“ abgeordnet. Die Konstruktion klingt technisch, bietet für Kessler aber eine Reihe von Vorteilen. So kann er sich beispielsweise darüber freuen, dass ein mögliches Gehaltsminus ausgeglichen würde, falls er in seinem neuen Job weniger verdient als EU-Generaldirektor (etwa 19.000 Euro im Monat plus Zulagen). Allzu große Sorgen braucht er sich allerdings nicht zu machen: Nach Informationen des SPIEGEL dürfte Kessler als Zollchef in Italien ein Jahresgehalt von beinahe 240.000 Euro beziehen.

Umstrittene Methoden

Entscheidender ist ein anderer Punkt, der die Haushaltskontrolleure im Europäischen Parlament aufregt: Kessler wurde erst vor einigen Jahren zum EU-Beamten auf Lebenszeit ernannt, und soll nun offenkundig Ansprüche auf einige üppige EU-Pension (bis zu 70 Prozent des letzten Grundgehalts) nicht verlieren. Voraussetzung dafür ist aber, die Verbindung zur EU-Kommission nicht komplett zu kappen.

Der Fall wirft nicht nur ein Schlaglicht auf die bekannt üppigen Besoldungspraktiken bei EU-Beamten. Er führt auch sonst zu allerlei Argwohn. Die Chefin des Kontrollgremiums, die deutsche Europaabgeordnete Ingeborg Grässle (CDU), vermutet zudem sogar, dass die Kommission sich mit dem gefälligen Arrangement das Schweigen des ehemaligen Betrugsbekämpfers erkaufen will. „Damit will die Kommission dafür sorgen, dass Kessler die nächsten zehn Jahre den Mund nicht aufmacht“, sagte sie dem SPIEGEL.

Kessler ist in der EU nicht unumstritten – im Gegenteil. Der Italiener hat sich in den vergangenen sieben Jahren an der Spitze der EU-Betrugsbekämpfer den Ruf eines Ermittlers erarbeitet, der es mit rechtsstaatlichen Methoden nicht immer so genau genommen haben soll. Der SPIEGEL beispielsweise hatte mehrfach über den von Kessler ausgelösten Rücktritt des maltesischen EU-Gesundheitskommissars John Dalli berichtet (SPIEGEL 18/2013 und 30/2014).

Oettinger sitzt zwischen den Stühlen

Dalli, so der bislang nicht bewiesene Vorwurf, soll über Mittelsmänner Geld für Änderungen an der Reform der EU-Tabakrichtlinie gefordert haben. Hintergrund waren Olaf-Recherchen, bei denen es zu zahlreichen, zum Teil bis heute nicht geklärten Ungereimtheiten gekommen sein soll. So sollen die Olaf-Fahnder bei den Ermittlungen beispielsweise illegal Telefone abgehört haben. Wegen dieses Vorwurfs hat auch die belgische Justiz Ermittlungen gegen Kessler aufgenommen, seine Immunität wurde im März 2016 aufgehoben.

EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger, der seit Januar auch fürs Personal zuständig ist, sitzt im Fall Dalli zwischen allen Stühlen. Er hat sich die Sache mit der Verbeamtung auf Lebenszeit nicht ausgedacht, muss nun aber für die Folgen gerade stehen. Am Mittwochnachmittag wird er im Haushaltskontrollausschuss erwartet, es soll auch im Kessler gehen.

Oettinger wird darauf verweisen, dass die von ihm auf den Weg gebrachte Ausschreibung für Kesslers Nachfolger an der Olaf-Spitze keine Beamtenstelle auf Lebenszeit mehr verspricht. Zudem könnte er darauf verweisen, dass es für Kessler in der Kommission nach seinem Ende bei Olaf kaum noch eine Verwendung gegeben hätte, die Kommission aber die vollen Kosten für den Mann weiter zu tragen gehabt hätte. Umso besser, wenn die Italiener einen Großteil der Kosten übernehmen.

Die Opposition im italienischen Parlament hat daher ebenfalls Bauchschmerzen. Sie witterte zudem bereits Interessenskollisionen. Immerhin führte Olaf unter Kessler immer wieder auch Untersuchungen über die Arbeit nationaler Zollbehörden durch. Giorgio Sorial von der Fünf Sterne-Bewegung etwa sagte, Kessler, „habe nicht das richtige Profil“ für ein „so wichtiges Amt“, weder bezüglich „der Unparteilichkeit noch Unabhängigkeit“. Kessler gilt als Mann des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Matteo Renzi und gehörte zu den Gründern von Renzis Demokratischer Partei in seiner Heimat, dem norditalienischen Triest.

Die Kommission wollte sich auf Anfrage des SPIEGEL offiziell zu den Details der Entscheidung der Kommission nicht äußern, betonte aber, „jedwede Entscheidung des Kollegiums“ werde „strikt den rechtlichen Vorschriften folgen“.

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