Umstrittenes Gesetz: Johnson-Regierung will Asylbewerber nach Ruanda abschieben – seitdem steigen die...

Umstrittenes Gesetz: Johnson-Regierung will Asylbewerber nach Ruanda abschieben – seitdem steigen die Suizidversuche

Um Menschen von der illegalen Einreise nach Großbritannien abzuschrecken, plant die britische Regierung zahlreiche Abschiebeflüge nach Ruanda. Das Unterfangen ist mehr als umstritten. Nun mehren sich die Berichte über Suizidversuche bei Asylbewerbern.

Gut drei Jahre und mehr als 5.000 Meilen brauchte Mohammed, um Großbritannien zu erreichen, nachdem er vor einem Massaker in seinem Dorf aus dem Sudan geflohen war. Nun, gerade einmal zwei Wochen nach seiner Ankunft mit dem Kajak über den Ärmelkanal steht der 25-Jährige schon wieder kurz vor der Zwangsabschiebung. Nach einem neuen Gesetz will die britische Regierung illegal ins Land gekommene Menschen nach Ruanda schicken. Der erste Flug von Asylbewerbern sei für den 14. Juni geplant, erklärte Innenministerin Priti Patel diese Woche.

Viele Geflüchtete trifft die Nachricht wie ein Schlag. „Ich dachte, Großbritannien sei ein gutes Land mit viel Menschlichkeit“, sagt Mohammed, der in Wirklichkeit anders heißt, im Gespräch mit dem „Guardian“. Seit er von den geplanten Abschiebungen nach Ruanda erfahren hat, habe sich das Trauma seiner Flucht verschlimmert. „Es war so schwer für mich aus Afrika zu fliehen und jetzt will mich die britische Regierung dorthin zurückschicken“, berichtet er.

Bereits im April hatte die Regierung von Boris Johnson ihren umstrittenen Plan vorgestellt, der Menschen von der illegalen Eineise in das Vereinigte Königreich abschrecken soll. Seitdem wächst die Kritik – angefacht durch Berichte über vermehrte Suizidversuche bei Asylbewerbern.

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Angst vor Abschiebung führt zu vermehrten Suizidversuchen

Zu den Fällen gehört eine aus dem Iran geflüchtete Frau, die versucht hat, sich das Leben zu nehmen und Mitarbeitern einer Menschenrechtsorganisation erklärte, dass sie dies getan habe, weil ihre Abschiebung nach Ruanda anstünde. Sie konnte gerade noch rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht werden und überlebte. Ein 40-jähriger Asylbewerber aus dem Jemen erklärte in einem an Boris Johnson und Priti Patel gerichteten Video, dass er, nachdem er von den Abschiebeplänen erfahren habe, „keine andere Wahl hatte, als mich umzubringen“.

Die britische Zeitung „The Independent“ berichtet über den Fall eines afghanischen Migranten, der in Vorbereitung auf seinen Flug nach Ruanda festgenommen wurde. Er sagt, er habe einen Selbstmordversuch unternommen, um nicht dorthin geschickt zu werden. Unterdessen wird derzeit in Calais der kürzliche Tod eines jungen sudanesischen Asylbewerbers von den französischen Behörden untersucht. Seine Freunde berichten örtlichen Hilfskräften, er habe ihnen gesagt, dass er nach den angekündigten Abschiebungen nicht mehr leben wolle.

DISCLAIMER So berichten wir über Suizide

Die Aussicht, gezwungenermaßen nach Ruanda geschickt zu werden, sei für viele schon traumatisierte Menschen oft der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringe, erklärt Clare Moseley, Geschäftsführerin der Hilfsorganisation „Care4Calais“, dem „Guardian“. Ziel des „Ruanda-Plans“ sei es, als Abschreckung zu dienen, indem er für Flüchtlinge noch schrecklicher ist als die Fahrten, die sie in kaum seetauglichen Booten über den Ärmelkanal unternehmen. „Viele Geflüchtete haben schreckliche Unterdrückung erlitten“, sagt Moseley. „Dennoch lautet unser Plan, sie mit der Angst vor weiteren Verletzungen und Unterdrückung abzuschrecken.“ Es sei also kein Wunder, dass das Vorhaben von Priti Patel die Ärmsten der Welt dazu bringe, sich aus Verzweiflung das Leben zu nehmen.“

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Boris Johnson: Ruanda ist „eines der sichersten Länder der Welt“

Die Umsetzung des viel kritisierten „Ruanda-Plans“ kommt für Boris Johnson zu einem kniffligen Zeitpunkt. Der Premier sieht sich wegen seiner „Partygate“-Affäre um illegale Lockdown-Feiern der wachsenden Gefahr eines Vertrauensabstimmung im Unterhaus ausgesetzt (der stern berichtete (€)). Mindestens 28 konservative Abgeordnete haben inzwischen offiziell seinen Rücktritt gefordert, nachdem ein Untersuchungsbericht vielfache Regelverstöße und „exzessiven Alkoholkonsum“ am Regierungssitz bestätigt hat.

Doch Johnson steht nicht zum ersten Mal mit dem Rücken zur Wand. Seit der russischen Invasion in der Ukraine kurz nach den ersten „Partygate“-Schlagzeilen weiß er, Ablenkung ist die beste Verteidigung. Und was würde sich dazu in der aktuellen Situation besser eignen, als eines seiner zentralen Wahlversprechen umzusetzen: die Begrenzung der illegalen Zuwanderung. Die Zahl der Menschen, die in Booten über den Ärmelkanal nach Großbritannien gelangen, hat ausgerechnet während seiner Amtszeit neue Rekorde erreicht. Mehr als 28.000 Männer, Frauen und Kinder waren es im vergangenen Jahr.

Zu viel für Johnson und seine Regierung: Ab Mitte Juni sollen „zehntausende“ Asylbewerber und Migranten nach Ruanda gebracht werden. Dort sollen die Menschen laut dem Innenministerium ein „großzügiges Unterstützungspaket“ erhalten, zu dem fünf Jahre Ausbildung, Unterkunft und Gesundheitsversorgung gehören. Kritik von Aktivisten und Menschenrechtlern, dass es der Politik an Mitgefühl fehle, wies die Regierung zurück und betonte, es sei schlimmer, ein System zu fördern, in dem viele Asylbewerber von Schmugglern ausgebeutet werden.

Der Premier ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er Ruanda als „eines der sichersten Länder der Welt“ bezeichnete, das globale Anerkennung dafür genieße, Einwanderer „willkommen zu heißen und zu integrieren“.

Menschenrechtler wollen gegen „Ruanda-Plan“ klagen

Ganz anders beurteilen jedoch Beobachter von Menschenrechtsgruppen die humanitäre Lage in dem ostafrikanischen Land. Laut Amnesty International und Human Rights Watch ist die Meinungsfreiheit stark eingeschränkt. Menschen, die sich gegen die Regierung aussprechen, müssen mit Haftstrafe, Folter oder Schlimmerem rechnen. Es wäre unmöglich, dort die Sicherheit von abgeschobenen Menschen zu gewährleisten.

Kritik kommt auch aus der oppositionellen Labour-Partei. Nach Ankündigung der ersten Abschiebeflüge beschuldigte die Abgeordnete Yvette Cooper die Johnson-Regierung, „ohne Rücksicht auf die Realität Schlagzeilen zu machen“. Bei dem „Ruanda-Plan“ gehe es nicht darum, die kriminellen Banden oder kleine Bootsüberfahrten abzuschrecken, sondern darum, vom Gesetzesbruch des Premier abzulenken. „Dies ist eine völlig undurchführbare, unverschämt teure und zutiefst unbritische Politik“, polterte Cooper im britischen Parlament.

Mehrere NGOs – wie „Care4Calais“, „Detention Action“ und „Freedom From Torture“ – haben inzwischen Klagen gegen die Abschiebepläne der Regierung angekündigt. Für den 25-jährigen Mohammed und andere Asylbewerber, die im ersten Flug nach Ruanda sitzen sollen, dürften diese Hilfeversuche jedoch zu spät kommen.

Teaser Suizid-Hilfe

Quellen: „Guardian“, „Independent“, „BBC“, „Reuters“, „HRW Rwanda“, mit AFP-Material

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