Im Nordosten Italiens lebt ein altes Volk mit großer Geschichte, die Veneter. Die waren früher bettelarm, sind heute vergleichsweise reich und entsprechend unzufrieden. Daran sind die Italiener schuld, die sie unterdrücken und ausbeuten. Gut 20 Milliarden Euro an Steuereinnahmen überweisen die fleißigen Veneter alljährlich an die Staatskasse. Trotzdem haben sie nicht einmal einen Minister in Rom.
Und was an Geld zurückfließt, für den Straßenbau oder die Schulen zum Beispiel, ist arg wenig, finden die fleißigen Veneter. So soll es nicht bleiben. „Wir sind diese Trinkgelder leid, die uns dieser Schurkenstaat graziös zubilligt“, sagt Riccardo Barbisan, Abgeordneter im venetischen Regionalparlament, etwa vergleichbar einem deutschen Landtag. „Schluss damit“, ist seine Parole, „wir müssen mit allen Mitteln unsere bedeutende Geschichte und unsere Kultur verteidigen.“
Schade nur, dass sie dabei jetzt mit der Sprache anfangen. Denn ob das Venetische eine eigenständige indogermanische Sprache ist oder ein Gemisch aus Latein und Italienisch,mag sprachwissenschaftlich interessant sein, ist aber eigentlich völlig egal. Es klingt wie eine Kindersprache. „Man muss lachen, wenn man sie hört“, schreibt der entsandte Reporter der römischen Zeitung „La Repubblica“. Man spräche dort, als hätten kleine Kinder gerade Kastanien im Mund und redeten gleichwohl drauflos. Nun wäre das ja nicht schlimm, wenn die Veneter untereinander Veneter Platt reden. Aber sie wollen diese sprachliche Eigenart nun zur zweiten Amtssprache erheben.
Die Mehrheit will Minderheit sein
In dieser Woche hat die Lega Nord mit ihrer Mehrheit im Regionalparlament ihr Veneto-Volk zur „nationalen Minderheit“ erklärt. Eine solche steht kulturell und sprachlich unter dem Schutz einer Konvention des Europarats. Wie etwa die deutschsprachigen und rätoromanischen Minderheiten in Südtirol.
„Wir Veneter hier im Veneto sind doch die Mehrheit“, hatte ein Ex-Lega-Abgeordneter zaghaft in die Debatte geworfen, war aber gleich abgebürstet worden. Solche Einwände kenne man zur Genüge, „da trauern sie alle um den letzten Indianer, der präkolumbianisch spricht, aber interessieren sich null für die Identität des eigenen Volks“.
Schilder und Ausweise sollen nun zweisprachig werden, in Schulen und Amtsstuben sollen Italienisch und Venetisch gleichberechtigt sein, und wer einen Job bei der Polizei oder im Schulbetrieb haben will, der muss die neue „Lingua Veneta“ beherrschen. Das fällt den meisten Menschen dort leicht, denn 65 Prozent sprechen oder verstehen den „Minderheiten“-Dialekt. Zugewanderte vom Balkan, aus Afrika oder aus Süditalien haben es da natürlich schwerer. Aber darum geht es ja, auch.
Venetiens Präsident Luca Zaia
Endziel Unabhängigkeit
Diesem ersten Schritt auf dem Weg zur Unabhängigkeit soll der zweite bald folgen. Veneto-Präsident Luca Zaia von der Lega Nord will mit einem Referendum einen Autonomiestatus für Venetien erzwingen, so wie ihn beispielsweise Südtirol oder Sizilien haben. Die dürfen das Gros der Steuereinnahmen behalten und alles Mögliche ohne das Okay der römischen Staatsregierung entscheiden. Wie das Referendum ausgeht, ist absehbar. Mehr als 80 Prozent der befragten Veneter waren bei Umfragen für die Autonomie. Dann soll der entscheidende Stoß gegen Rom folgen: die Unabhängigkeit. Auch dafür waren zuletzt immerhin schon 52 Prozent der Veneter. Die Propagandamaschinerie läuft auf Hochtouren:
- Lega-Bürgermeister finanzieren Wandmalereien mit Veneto-Helden und ihren Taten;
- in ihren Amtsstuben hängt die Fahne mit dem geflügelten Löwen des alten Venedig;
- in Padua müssen Bars und Restaurants 60 Prozent ihres Angebots aus venetischer Produktion offerieren;
- die Regionalregierung gibt Millionen – etwa 30 Prozent ihres Kulturetats – zur „Förderung der venetischen Identität“ aus.
Jahrzehnte war die Region in Italiens Nordosten eine feste Burg der Christdemokraten. In den Neunzigerjahren regierten Mitte-rechts-Bündnisse. Heute ist der größte Teil in der Hand der Lega, die mit ausländer- und europafeindlichen Parolen Stimmung macht und Wahlen gewinnt. „Roma ladrona“ hieß ihr Kampfruf, „Rom, die Diebin“, die den fleißigen Menschen im Veneto ihr Geld wegnimmt und verprasst oder der Mafia schenkt. Deshalb müsse man, so die Propaganda, weg von Rom, möglichst weit weg vom italienischen Staat. „Nach dem Plebiszit,“ sagt Veneto-Präsident Luca Zaia, „wird nichts mehr so sein wie zuvor!“
Natürlich gibt es Stimmen gegen diese Entwicklung, von den venetischen Sozialdemokraten etwa, die sich nicht als Veneter, sondern als Italiener und Europäer sähen, so deren Sprecherin, Alessandra Moretti. Diese wollen, dass die Kinder „neue Sprachen und neue Technologien lernen und sich nicht mit einem alten Dialekt von der modernen Welt abkoppeln“. Sollen sie nur, sagt die Lega. Genau deshalb würden sie ja nicht gewählt.
Und so ist es wohl auch. Die Mehrheit der Arbeiter, Handwerker und Bauern, Professoren und Unternehmer dort hat die Globalisierung und Europa ziemlich satt, wählt die Lega Nord und träumt vom eigenen venetischen Land, ohne Afrikaner und Römer, wo es einfach, gerecht und wahrhaftig zugeht. Vielleicht ist es dann wie einst in den vorchristlichen Jahrhunderten. Damals zogen die Veneter als Migranten aus dem Osten in ihre jetzige Heimat – womöglich aus Kleinasien, was heute ein Teil der Türkei ist.
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