Unter all den erstaunlichen Wendungen dieser umstürzenden Tage nach Trumps Wahl sind die ersten Auftritte der deutschen Bundeskanzlerin und ihres Außenministers bemerkenswert.

Angela Merkel sichert dem neuen Präsidenten Trump die Kooperation Deutschlands zu – nicht am Telefon, sondern in einer Pressekonferenz. Die Hauptbotschaft ihrer Ansprache ist, dass diese Kooperation allerdings bestimmten Voraussetzungen unterliegt – dass der neue Präsident sich nämlich an gemeinsame Werte halten werde.

Und Frank-Walter Steinmeier sagt gleich in mehreren Interviews, man werde natürlich mit den Amerikanern zusammenarbeiten. Allerdings sei das erst möglich, wenn man denn eines Tages ein Bild davon habe, was Trump außenpolitisch überhaupt erreichen wolle. Bislang gebe es nur leider keine ergiebigen Kontakte in die neue Regierung, und Trumps bisher bekannten Äußerungen seien einfach zu widersprüchlich: „Ich muss da spekulieren wie Sie.“

Was für ein Rollenwechsel! Die deutsche Regierungschefin stellt Bedingungen an den demnächst vermeintlich mächtigsten Mann, als sei sie nun die Führerin der freien Welt. Sie hat sich dafür vorher mit ihrem französischen Kollegen Hollande abgesprochen. Der Berliner Chefdiplomat legt der neuen amerikanischen Regierung nahe, erst einmal ihre geopolitischen Hausaufgaben zu machen, bevor man sich wiedersieht. Berlin hält Washington auf Westkurs? Verkehrte Welt – aber so ist das erst einmal.

Merkel hat Trump am Freitag dann doch noch angerufen, um ihm persönlich zu gratulieren. Sie freue sich, ihn im Juli beim G20-Gipfel in Hamburg zu sehen, hieß es danach. Übersetzung: Eine Einladung nach Washington hat es nicht gegeben – wie sie etwa Theresa May, die britische Premierministerin und Brexit-Managerin bekommen hat.

Man muss sich das mal vor Augen halten: Trump hat Merkel im Wahlkampf „verrückt“ genannt und den Brexit gelobt; nun belohnt er die Briten für ihre Abkehr von der EU; Merkel aber erinnert ihn an das gemeinsame Wertefundament des Westens, was impliziert, dass der president-elect diese Erinnerung dringend nötig hat; Steinmeier, der Trump einen „Hassprediger“ genannt hat, rechnet die USA nun ganz offiziell unter die Unsicherheitsfaktoren der Weltpolitik.

Wow. Der Westen zerbröselt vor unseren Augen.

Was sich hier abspielt, kann der Blick auf zwei Daten klar machen: Am 9. November 1989 fiel die Mauer in Berlin, und dies schien das „Projekt des Westens“ (Heinrich August Winkler) als Sieger der Geschichte zu bestätigen. In der Nacht zum 9. November 2016, genau 27 Jahre später, ist ein Mann ins Weiße Haus gewählt worden, dessen zentrales Wahlversprechen der Bau einer Mauer war. Und eine Frau, die durch den Mauerfall erst die Chance bekommen hatte, Teil des westlichen Projekts zu werden, ermahnt den amerikanischen Präsidenten in spe an das Versprechen der freien Welt.

Die „Normalisierung“ dieses Bruchs hat schon begonnen. Amerikanische Kommentatoren erinnern dieser Tage gerne an das berühmte Diktum des ehemaligen Gouverneurs von New York: „You campaign in poetry, you govern in prose.

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