Diese Begegnung, diesen Handschlag, an diesem Ort, unter diesen Umständen – Barack Obama hätte allzu gerne darauf verzichtet. Und er hatte auch einiges dafür getan, den Sieg Donald Trumps zu verhindern. Hatte seine ganze Beliebtheit eingesetzt, Trump im Wahlkampf als „beispiellos ungeeigneten Präsidenten“ bezeichnet, war zusammen mit Hillary Clinton von Auftritt zu Auftritt geeilt und hatte seine Frau Michelle grandiose Reden halten lassen. Es half alles nichts. Am Donnerstag begrüßte der amtierende Präsident seinen Nachfolger im Weißen Haus. Und spätestens da wird Obama klar geworden sein, dass er vielleicht doch nicht genug getan hat, um den Wahlsieg Donald Trumps zu verhindern.
Der „Klostreit von North Carolina“
Rückblende, Mai 2016: Als der „Klostreit von North Carolina“ mit der Konzertabsage von Bruce Springsteen gerade seinen Höhepunkt überschritten hatte, mischte sich auch noch Barack Obama ein. Höchstpersönlich ordnete der US-Präsident an, dass Transgender-Schüler jede Toilette benutzen dürfen, die sie wollen. Der Erlass richtete sich gegen ein entsprechendes Gesetz des Bundesstaates und sollte, wie es Obamas Anstand gebot, ein Zeichen für Toleranz gegenüber Minderheiten sein. Doch er ging zu weit, nicht nur formell. Ein texanisches Gericht kassierte Obamas Entscheidung später wieder ein, da es dem Staatsoberhaupt nicht zustehe, sich in Schulangelegenheiten einzumischen, so der Richter.
Was wie eine Lappalie wirkte, kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Der US-Wahlkampf lief bereits heiß, da konnten auch scheinbare Kleinigkeiten kostbare Wählerstimmen kosten. Der gekippte Präsidentenerlass wird zwar nicht wahlentscheidend gewesen sein, doch wer ohnehin schon mit den linksliberalen Demokraten und deren Oberhaupt haderte, der konnte den „Klokrieg“ auch als Sinnbild begreifen. Als Symbol dafür, dass der Präsident manchmal dazu neigt, sich in Nebenkriegsschauplätzen zu verirren. Als jemand, der sich zwar rührend um Randgruppen kümmert (0,3 Prozent der US-Bevölkerung sind Menschen, deren Geschlecht nicht eindeutig zuzuordnen ist), nur nicht um die „Minderheit“, die ihn einst hoffnungsvoll gewählt hat. Die weiße Arbeiterschaft.
Die Transgender-Diskussion war zudem ein grundsätzlicher Glaubenskampf zwischen Konservativen und Fortschrittlichen um die künftige Deutungshoheit in Amerika. Soll das Land weiter offen und liberal im Geiste Barack Obamas bleiben, oder zurückfallen in Zeiten, als Präsidenten noch weiß waren, ehrliche Arbeit abseits von Schreibtischen verrichtet wurde und der Kaffee aus Glaskannen floss und nicht von einem Barista zubereitet wurde? Donald Trumps „Make America great again“ ist die Parole, die diese Frage beantwortete.
Die USA sind nicht nur wegen Donald Trump rassistisch
Als Obama vor acht Jahren als erster Schwarzer ins Weiße Haus eingezogen war, fühlte sich Amerika plötzlich wieder modern, jung und weltoffen. Zumindest das schwarze Amerika und das Amerika an den Küsten, weniger das Amerika in den abgeschiedenen, von der Industrie im Stich gelassenen Landstrichen im Mittleren Westen oder im Süden, wo noch immer der Ku-Klux-Klan sein Unwesen treibt. Ihr Präsident war Barack Obama nie. Nicht nur in South Carolina, Kentucky oder Georgia ist offener Rassismus weiter noch trauriger Alltag, ein schwarzes Staatsoberhaupt haben viele Bewohner dort als persönliche Beleidigung wahrgenommen. Das Land ist trotz oder auch wegen Obama rassistisch wie eh und je und Donald Trump hat sie wieder daran erinnert.
Barack Obama sah zwar aus die Personifizierung des amerikanischen Traums, aber er war nur der Traum der Linksliberalen, der Snobs und feinen Pinkel aus Europa. Ein Akademiker, Teil der intellektuellen, politischen Elite. Jung, charmant und cool zwar, und doch weit weg von den Menschen, die weder auf Marihuana stehen, noch homosexuell oder schwarz sind, geschweige denn Transgender. Wie die Sozialdemokraten in Deutschland oder in anderen Ländern haben sich die US-Demokraten allzu lange als naturgegebene Vertreter der Arbeiter und unteren Mittelschicht verstanden. Ihre Politik, so das Selbstverständnis, war automatisch auch immer die richtige Politik für die „niederen Stände“. Nur stimmt das leider schon lange nicht mehr.
Der Aufschwung erwischte nicht alle
Den größten Vorwurf, den sich Obama machen musste ist: Er hat zwar die Finanzkrise 2008 gemeistert und die USA wirtschaftlich wieder auf die Füße bekommen. Dennoch kam der Aufschwung nicht bei allen an. Glücklich waren die gut Ausgebildeten, die Studierten, die, die flexibel auf neue entstehende Berufe reagieren konnten. Auf der Strecke blieben diejenigen, deren Lebensumstände es nicht erlaubten, von den absterbenden Industrielandschaften Michigans oder Pennsylvanias ins boomende Silicon Valley oder nach Colorado zu ziehen. Ihnen konnte Barack Obama nicht helfen, weil er nicht erkannt hat oder erkennen wollte, dass sie Hilfe brauchten. Hillary Clinton übrigens auch nicht.
Auch mit der Reform des Krankenversicherungssystems, ein zutiefst sozialdemokratisches Projekt, wollte Obama das Gute und Gerechte, aber er schuf ein Ungetüm, das das Land bis heute aufwühlt. Selbst viele Demokraten lehnen diese Art staatlicher Einmischung in ihr Privatleben ab. Zudem ist „Obamacare“ teuer: Um bis zu 25 Prozent werden die Beiträge in den kommenden Monaten steigen, einige wichtige Versicherer sind sogar schon wieder ausgestiegen. Im Wahlkampf war der „affordable care-act“ ein Thema wie geschaffen für den Erzkapitalisten Donald Trump. Allein die Ankündigung, die Reform als eine seiner ersten Amtshandlungen rückabzuwickeln, löste Begeisterungsstürme aus. Und nur einen Tag nach der Wahl erneuerte der Künftige im Weißen Haus sein Versprechen.
Barack Obama, der Moralist
Barack Obama war und ist ein moralischer Präsident – dem Drohnenkrieg in Pakistan und Abhörprogramme zum Trotz. Er ist auch deswegen beliebt wie kaum ein anderer Präsident vor ihm. Das Versprechen, seine Politik im wesentlichen fortzusetzen, wie es Hillary Clinton im Wahlkampf versprach, verfing dennoch nicht. Im Gegenteil. Die Amerikaner haben einen Mann gewählt, dem Obama unterstellte, er wolle sein Erbe zerstören. Vermutlich stimmt das. Der US-Präsident hatte den Amerikanern 2008 einen Wandel versprochen, aber nicht geliefert. Oder falsch geliefert.
Er war der Annahme erlegen, dass das Land allein durch seine Wahl bewiesen habe, die alten Probleme wie Rassismus und Ignoranz gegenüber den Schwachen überwunden zu haben. Gleichsam reif für den nächsten Schritt in moderne, bessere Zeiten zu sein. Doch weder er noch Hillary Clinton haben erkannt, dass sie dabei ausgerechnet ihre Stammwählerschaft links liegen ließen, denen das Fressen gerade wichtiger ist als die Moral.
Obama wie ein gebrochener Mann
Als Barack Obama am Tag nach der Wahl seine Glückwünsche an Donald Trump überlieferte, und anschließend den Rosengarten des Weißen Hauses mit seinem Vize Joe Biden im Arm verließ, ging da ein Mann, dessen Schultern nach vorne gebeugt waren, mit tiefen Furchen im Gesicht und dunklen Ringen unter den Augen. Zum ersten Mal in den Jahren seiner Präsidentschaft sah er aus wie ein gebrochener Mann.
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