Auch am Tag nach den Wahlen in den USA ist die Sonne aufgegangen.
Kosmische Maßstäbe hat der kommende Amtswechsel im Weißen Haus dann doch nicht.
Aber knapp darunter ist die amerikanische Entscheidung eine Erschütterung unserer Wirklichkeit. Unser Vokabular ist brüchig geworden: „Demokratie“, „Wahlen“, „Freiheit“ – und „Westen“. Dieser letzte Begriff vor allem löst sich endgültig auf. Die Wahl Donald Trumps ist das Ende des Westens.
Angela Merkel hat am Mittwoch die Werte aufgezählt, für die der Westen stehe: Demokratie, Freiheit, den Respekt vor dem Recht und der Würde des Menschen, unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer Einstellung. „Auf der Basis dieser Werte“, sagte Merkel, „biete ich dem künftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika Donald Trump eine enge Zusammenarbeit an.“ So hat noch kein deutscher Kanzler mit einem amerikanischen Präsidenten geredet. Aber so einen Präsidenten wie Trump gab es auch noch nicht. Denn Trump ist kein Demokrat. Er ist ein Faschist.
Trumps Sieg ist der letzte Beweis dafür, dass die liberale Demokratie in einer existenziellen Krise ist. Sie droht den Kampf mit dem Kapitalismus zu verlieren.
Dieses Ergebnis war nicht vorhergesehen worden. Denn es sprengt den Rahmen. Und diejenigen, die für Vorhersagen zuständig sind, leben in diesem Rahmen. Ein gutes Beispiel ist der „Zeit“-Herausgeber und Atlantiker Josef Joffe. Im Januar schrieb er: „Nur eines darf man heute schon prophezeien, ohne Gewähr: Donald Trump, der front runner der Republikaner, dem die Umfragen jeden Blödsinn verziehen haben, wird nicht der 45. Präsident sein.“ Leute wie Joffe konnten sich nicht vorstellen, dass die Wähler gegen das handeln, was allgemein für Vernunft gehalten wird. Dieser Mangel sowohl an Phantasie, als auch an historischer Erinnerung, ist verblüffend.
Trumps Sprache, seine Frisur, seine Gesten, der ganze Mann – eine lächerliche Figur
Wie kann es sein, dass kluge Kommentatoren die dunkle Kraft vergessen haben, die im Faschismus steckt? Trumps Sprache, seine Frisur, seine Gesten, der ganze Mann – eine lächerliche Figur. Aber wer sich Aufnahmen von Benito Mussolini ansieht, wird auch ihn für eine lächerliche Figur halten. Vom „Führer“ nicht zu sprechen. Die Arroganz der Etablierten ist selber ein Symptom. Viel zu viele Journalisten und Politiker haben ihren Frieden damit gemacht, dass die Kräfte des Kapitalismus die Demokratie in den vergangenen dreißig Jahren beständig erodiert haben. Viel zu viele haben Partei bezogen und sich auf die Seite der Gewinner geschlagen. Das anschwellende Murren der Verlierer haben sie nicht gehört.
Der britische „Economist“ hat gerade gemeldet, ein Viertel der seit 1980 geborenen US-Amerikaner glaubt nicht mehr, dass die Demokratie eine gute Staatsform ist. Man wundert sich über die Mehrheit der 75 Prozent, die noch an die Demokratie glauben – obwohl sie sie gar nicht kennen.
Amerika ist schon lange ein oligarchischer Staat.
Nach dem Versagen der liberalen Demokratie blüht uns nun ein autoritäres Zeitalter
Seit über zwanzig Jahren nimmt in den westlichen Staaten die soziale Ungleichheit trotz freier Wahlen immer weiter zu. Jetzt erleben wir eine rechte Revolution. Wer sich ihr hingibt wartet auf Antworten, die er bei den Liberalen nicht fand und die er den Linken nicht zutraut. Man sollte von den Machtlosen keine Verantwortung erwarten, wenn sich die Mächtigen verantwortungslos verhalten. Nach dem Versagen der liberalen Demokratie blüht uns nun ein autoritäres Zeitalter. Trump, Putin, Erdogan, Netanyahu, bald Le Pen – diese Leute werden sich alle gut verstehen.
Aber auch sie sind ja nicht auf der Seite der Abgehängten. Sondern nur auf der Seite jener, die ihnen die Macht ermöglichen. Donald Trump hatte an der Wall Street weniger Förderer als Hillary Clinton. Aber wird er es darum wagen, sich mit dem amerikanischen Finanz-Establishment anzulegen?
Nichts, was man bislang von diesem Mann weiß, erlaubt diese Hoffnung. Zu seinen Unterstützern zählten nicht die superreichen Koch-Brüder. Aber dafür der superreiche Sheldon Adelson.
Trump hat angekündigt, dass sich die USA unter seiner Präsidentschaft aus den Händeln der Welt heraushalten werden. Das wenigstens wäre ein Fortschritt. Die Welt ist durch die Interventionen seiner Vorgänger kein besserer Ort geworden. Im Nahen Osten haben die USA ein Chaos angerichtet. Gegenüber China sind die Grenzen amerikanischer Macht längst sichtbar. Der Spott, mit dem Obama Russland seinerzeit als „Regionalmacht“ bezeichnet hat, könnte bald auf die USA selbst zurückfallen. Globale Ordnung, falls es die jemals gegeben haben sollte, kann dieses Land nicht mehr garantieren.
Als die Kanzlerin den nächsten US-Präsidenten an westliche Werte erinnerte, stellte sie in Wahrheit Bedingungen. Nach allem was man von ihm weiß, kann Trump sie nicht erfüllen. Da liegt die Schlussfolgerung nahe, die Europäer müssten im Angesicht des amerikanischen Wahnsinns enger zusammenrücken. Aber sie ist naiv. Europa pflegt seinen eigenen Wahnsinn. Die Briten haben mit ihrer Brexit-Entscheidung die Wahl Trumps vorweg genommen. Sein Sieg wird nun die Rechtspopulisten Österreichs und Frankreichs mit neuer Kraft versorgen. Die Krise des Liberalismus hat Europa längst im Griff. Europa wird uns nicht retten – die Frage ist nur noch, wie viel von Europa wir retten können.
In einer Art und Weise, die wir uns jetzt noch gar nicht vorstellen können, werden wir Deutschen bald selbst für uns verantwortlich sein. Es ist paradox: Das kurze Zeitalter der Globalisierung mündet in eine Rückbesinnung auf das Nahe, die Heimat, die Nation. Was bleibt uns sonst?
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