Die US-Wahl 2016 ist der Höhepunkt einer nationalen Krise. Es ist eine Krise der amerikanischen Demokratie und sie hat sich über Jahrzehnte angebahnt. 

Warnzeichen gab es schon lange vor dem Aufstieg von Donald Trump. Der Kongress ist immer weniger in der Lage, seine Aufgabe zu erfüllen, nämlich Gesetze zu verabschieden. Selbst für Routinebeschlüsse wie die Genehmigung des Infrastrukturbudgets, mit dem die Reparatur von Amerikas Highways bezahlt wird, verhandelten die Volksvertreter zuletzt monatelang und mussten zahllose Kompromisse schließen. Trotzdem wurde die Entscheidung als Sieg gefeiert, denn es war das erste Mal seit 2005, dass die Abgeordneten überhaupt ein ordentliches Infrastrukturbudget abgesegneten. Fast zehn Jahre lang war dieser wichtige Bereich nur über Notmaßnahmen finanziert worden.

Aber selbst wenn ein Gesetz verabschiedet wird, ist der Kampf damit nicht unbedingt vorbei. 2009 wurde die Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama verabschiedet. Seither ließ die Opposition 62 Mal über ihre Abschaffung abstimmen – erfolglos. Im Oktober 2013 schließlich blockierten Abgeordnete der Republikaner, die der rechtspopulistischen Tea Party nahestehen, die Haushaltsverhandlungen und legten die US-Regierung für fast zwei Wochen lahm, was die Kreditbewertung der Vereinigten Staaten – bis dahin die solideste der Welt – in Zweifel zog.

Viele Wähler sehen diese Ereignisse als Beweis dafür, dass die Politik unfähig und korrupt ist. Das habe den Boden für Donald Trump bereitet, der das System offen verachtet und versprochen hat, in Washington aufzuräumen. Doch ausgerechnet die Entmachtung der Parteien und der Aufstieg von Außenseitern wie ihm haben maßgeblich zur Fehlfunktion des politischen Systems beigetragen.

Konflikte und Blockaden sind in der US-Politik nicht neu. Sie sind Teil eines Mechanismus, den die amerikanischen Gründerväter 1787 in der Verfassung verankert haben. Vorbild war die römische Republik. Um allerdings einen neuen Cäsar zu verhindern, bestanden die Gründerväter auf strikter Gewaltenteilung. Deren Institutionen – der Kongress mit Senat und Repräsentantenhaus als gesetzgebende Gremien, der oberste Gerichtshof und der Präsident – sollten sich gegenseitig kontrollieren. 

Misstrauisch gegenüber dem Volk, beschränkten die Väter der Verfassung, die fast alle der kolonialen Landbesitzerschicht entstammten, die direkte Wahl zunächst allein auf das Repräsentantenhaus. Der Präsident sollte vornehmlich die Regierung repräsentieren – ähnlich wie ein König in einer konstitutionellen Monarchie. Während aus dem ursprünglichen Agrarstaat eine Industrienation und schließlich eine Weltmacht mit über 300 Millionen Einwohnern wurde, zeigten sich die Institutionen lange anpassungsfähig.

Die Macht der Parteien

Ein Grund dafür waren die Parteien. Sie rekrutierten Kandidaten, organisierten Spenden und finanzierten Wahlkämpfe. Die führenden Vertreter der Parteien konnten belohnen und bei Bedarf auch bestrafen, etwa wenn ein Abgeordneter bei einer Abstimmung ausscherte. Dann blieb ihm die Unterstützung bei seinen Initiativen oder einflussreiche Posten in Ausschüssen verwehrt.

Solche Transaktionen entsprachen zwar nicht dem hehren Ideal der Demokratie, aber sie führten dazu, dass Mehrheiten gebildet werden konnten, um Gesetzesvorhaben erfolgreich zu verabschieden. Als Präsident Lyndon B. Johnson 1964 den Civil Rights Act, der die Bürgerrechte der Schwarzen garantieren sollte, durch den Kongress bringen wollte, brauchte er die Stimme von Charles Halleck, dem Abgeordneten für Indiana. Halleck bekam für seinen Bundesstaat ein Forschungszentrum der Nasa,  Johnson seine Reform. „Schweinespeck“ heißen diese Kompromisse in Washington. 

Immer wieder gingen die führenden Vertreter der Parteien bei  Postenschiebereien zu weit. Immer wieder gab es deshalb Reformen, um die Exzesse einzudämmen. Berüchtigt wurde die „Brücke ins Nirgendwo“, für die Alaskas Volksvertreter 320 Millionen Dollar aus der Washingtoner Steuerkasse sicherten. Das Bauwerk sollte das 9.000-Einwohner-Dorf Ketchikan mit der Gavinainsel verbinden – einer Insel, auf der 50 Menschen leben. Die Brücke und ähnliche Beispiele führten dazu, dass es 2011 verboten wurde, „Schweinespeck“-Projekte in allgemeine Gesetzesvorschläge einzubauen. 

Damit können Parteiführer ihren Getreuen nun keine Belohnung mehr und Volksvertretern im heimischen Wahlkreis nichts mehr bieten, wenn sie für Gesetze stimmen, die dort umstritten sind. 

Die Macht der Wahlkampfspender

Eine weitere Reform sollte den Einfluss von Wahlkampfspendern eindämmen und damit Korruption verhindern. Doch die strikten Vorschriften gelten vor allem für Parteien, nicht jedoch für private Spender. Gleichzeitig entschied das oberste Gericht 2010, dass Unternehmen und Organisationen ohne Obergrenze für den Wahlkampf spenden können. Das Ergebnis dieser beiden Maßnahmen ist, dass die Mittel und ihre Verwendung für die Parteien nun eingeschränkt sind, während Wohlhabende und Unternehmen gleichzeitig nahezu unbeschränkte Möglichkeiten haben, Kandidaten ihrer Wahl zu finanzieren.

Das eröffnete eine Chance für die Kandidaten, deren Positionen  innerhalb der Partei bisher als zu extrem galten. Die Tea-Party-Vertreter etwa wären ohne die Hilfe wohlhabender Spender wie der Koch-Brüder nie so schnell zu einer der mächtigsten politischen Kräfte im Kongress geworden. Mit ihren kompromisslosen Forderungen erfüllten sie zwar die Erwartungen ihrer Unterstützer, doch sie machten die politische Willensbildung im Kongress unmöglich.

Im 2011 hatten sich Präsident Obama und John Boehner, der Sprecher der Republikaner im Repräsentantenhaus, auf einen Haushaltskompromiss geeinigt. Er hätte Einsparungen von einer Billion Dollar erreicht. Doch der Deal platzte. Die Tea-Party-Republikaner lehnten ihn als nicht weitgehend genug ab. Dieses  Muster sollte sich noch mehrfach wiederholen, am Ende gab Boehner sein Amt auf.

Die Macht der Medien

Entmachtet wurden die Parteien nicht zuletzt durch die modernen Medien. Wer vor der Ära von Facebook und Twitter politisch aktiv werden und mehr als seine lokale Gemeinde erreichen wollte, hatte außerhalb einer Partei nur wenige Möglichkeiten. Heute reicht eine Webseite oder ein Hashtag, um mit Gleichgesinnten zu kommunizieren.

Trump etwa verzichtete fast völlig auf die teuren TV-Wahlspots und nutzte stattdessen Tweets, um seine Anhänger direkt zu erreichen. So umging der Immobilienunternehmer weitgehend die klassischen Kanäle der Partei, die den Parteiführern ein gewisses Mitspracherecht eingeräumt hätten.

Read more on Source