Er hat sich eingebunkert in seinem Turm. Vor dem Gebäude an der Fifth Avenue in Manhattan stehen nun Betonbarrikaden. Der Secret Service hat Checkpoints errichtet. Hin und wieder fährt eine Limousine in die Tiefgarage. Donald Trump sitzt oben in seinem Trump Tower, er brütet über der Frage, was er jetzt anfängt mit seiner Präsidentschaft.

Und ein ganzes Land wartet.

Nein, es ist kein normaler Regierungsübergang, den die USA in diesen Tagen erleben. Man merkt das an vielen großen und kleinen Dingen. An der Panik, die die Wahl des Demagogen in der Welt ausgelöst hat. Am Staunen, mit dem selbst Anhänger des 70-Jährigen auf das Ergebnis reagieren. An einer Geschichte aus San Diego, wo eine Studentin mit Kopftuch von jungen Männern belästigt wurde. Am Vorfall aus Chicago, wo Schwarze einen Weißen verprügelten, weil er Trump wählte. An den Schüssen in Portland.

Die Optimisten sagen, es wird schon nicht so schlimm

Niemand weiß so recht, wie es weitergeht. Und über allem schwebt die Frage, für welchen Donald Trump sich der neue Präsident in den zehn Wochen dieses schleichenden Wechsels entscheidet. Der Machiavellismus, mit dem er durch den Wahlkampf gezogen ist, lässt alles möglich erscheinen. Das ist das Gespenstische.

Die Optimisten sagen, es werde schon nicht so schlimm. Es gibt Gründe, so zu denken. Trump mag ein hemmungsloser Populist sein, ein erzkonservativer Ideologe ist er nicht. Trump hat Schwächen in der Globalisierung erkannt, er will massiv in die Infrastruktur investieren, Jobs schaffen, die Sozialversicherung beibehalten. Niemand werde „unter ihm einfach auf der Straße sterben“, hat er mal gesagt, und da haben sie alle ganz schön dumm aus der Wäsche geguckt bei den eigenverantwortungsverliebten Republikanern. Aber Trump, der Samariter, ist das denkbar?

Noble Demokratie

Donnerstagvormittag, Weißes Haus. Trump sitzt im Oval Office. Hinter ihm eine Büste von Martin Luther King, neben ihm Barack Obama. Trump ist angetreten, um Obamas Präsidentschaft zu zertrümmern. Obama hat im Wahlkampf gezeigt, dass er für Trump nichts als Abscheu empfindet. Zwei Männer, die sich hassen und deren Biografien für so fundamental unterschiedliche Amerikas stehen, als stammten sie von zwei weit voneinander entfernt liegenden Planeten. Dekadenz gegen Demut, Turbokapitalismus gegen Quartiersmanagement, Kälte gegen Wärme.

Und jetzt? Beide wissen, dass sie in den Geschichtsbüchern für immer miteinander verknüpft sind. „Ein exzellentes Gespräch“ hätten sie geführt, sagt der scheidende Präsident. „Ein guter Mann“, sagt Trump über Obama. Sie lächeln. Geben sich die Hand. Viel Glück.

Die Rituale der friedlichen Übergabe der Macht, jene Momente, die zeigen, wie nobel die amerikanische Demokratie sein kann, funktionieren in diesen Stunden. Das ist wichtig, weil sie helfen, das Land so gut es geht zusammenzuhalten. Aber sie haben nach diesem brutalen vergangenen Jahr etwas Unwirkliches, fast Befremdliches.

Die Optimisten – zum Beispiel Mark Leibovich, einer der großen Reporter der „New York Times“ – sagen, es sei vor allem das präsidiale Korsett, das Trump verändern könne. Sie setzen darauf, dass die enorme Last der Verantwortung Trump dazu bringt, die Welt mit einem unerwarteten Kurs zu überraschen. Und sicher: Die Wahl hat er gewonnen, sein nächstes Ziel wird ein guter Platz in den Geschichtsbüchern sein. Trump dürfte ahnen, dass das kaum zu schaffen sein wird, indem er die Nation von innen zerstört. „Das Amt macht etwas mit denen, die es haben“, sagt die Historikerin Doris Kearns Goodwin.

Wie reagiert Trump bei einem Terroranschlag?

Die Pessimisten, zum Beispiel David Frum, ein führender konservativer Kommentator, sind vorsichtiger. Die Normalisierung Trumps geht ihnen zu schnell. Das verstelle den Blick auf den inneren Kern des Unternehmers, finden sie. Die Pessimisten glauben, dass der 70-Jährige seine Gegner einschüchtern und mit einer Härte durchregieren wird, wie Erdogan in der Türkei. „Wenn Sie sich gerade auf den mächtigsten Stuhl der Welt vorgearbeitet haben – würden Sie irgendetwas an Ihnen ändern?“, fragt der Kolumnist James Downie in der „Washington Post“.

Trumps, der Rassist, Sexist, Lügner und Aggressor. Die Bilder sind ja noch da, auch jene, die man selbst als Reporter erlebt hat. Des Moines, Iowa, Januar 2016. Trump tritt in einer Turnhalle auf. 2000 Menschen. Drinnen spricht er über seine Pläne zum Mauerbau. Draußen laufen Menschen mit Ku-Klux-Klan-Kapuzen herum. Oder Pensacola, Florida, ein paar Wochen später. Trump zitiert den Soul-Sänger Al Wilson und dessen Lied von der Schlange, die aus Barmherzigkeit von einer Frau ins warme Haus gelassen wird, sie aber schließlich beißt. „Mit der Schlange ist es wie mit den Flüchtlingen“, ruft Trump. Oder St. Louis, Missouri, Anfang Oktober. Vor der TV-Debatte zeigt sich Trump mit ein paar Frauen, die Bill Clinton vorwerfen, sie vergewaltigt zu haben. Oder viele, viele andere Situationen.

Kann so einer Präsident sein? Wie reagiert er, wenn bald mal wieder ein Schwarzer von Polizisten erschossen wird? Oder ein Polizist von einem Schwarzen? Was macht er im Falle eines Terroranschlags? Nach seinem Sieg ziehen unten am Trump Tower die Demonstrationen vorbei. Er nennt die Proteste via Twitter „sehr unfair“. Dann lobt Trump plötzlich die „Leidenschaft“. Ein Schwenk innerhalb von zehn Stunden. Ja, was denn nun? Und wer schreibt hier eigentlich?

Arm in Arm mit dem „Bilderbuchrassisten“

Die ersten Hinweise, in welche Richtung sich Trump bewegt, sind ambivalent. Er hat angekündigt, Teile der Krankenversicherung seines Vorgängers beizubehalten. Und er möchte Brücken und Autobahnen reparieren. Keine schlechten Ideen. Andererseits: Sein Team, das den Übergang regelt, ist wenig vielversprechend.

Trump hat Chris Christie degradiert und Mike Pence, seinen Vize, zum Chef der 16-köpfigen Mannschaft gemacht. Sie soll sich Gedanken darum machen, mit dem man die rund 4000 Posten neu besetzen kann, die nach Trumps Amtsantritt zu besetzen sind. Dabei sind auch vier Familienmitglieder, Trumps Tochter Ivanka, seine Söhne Eric und Donald Jr., sein Schwiegersohn Jared Kushner. Die Kinder führen schon sein Unternehmen – und sollen nun gleichzeitig die Zukunft des Landes vermessen.

Es heißt, Trump wolle rasch einige Vorschriften aufheben, vor allem in der Umweltpolitik. Er bricht mit der Tradition, sich in der Übergangsphase von Reportern begleiten zu lassen. Steve Bannon, der rechte Agitator von „Breitbart News“ und das Hirn seines Wahlkampfs, soll möglicherweise Stabschefs werden. Und Trump hat streuen lassen, rasch Exekutiventscheidungen Obamas zu kündigen. Hunderttausende junge Einwanderer ohne Papiere, die Obama per Dekret vor Abschiebungen schützte, würden darunter leiden.

Trump bleibt Trump. Oder?

Donnerstagnachmittag, der neu gewählte Präsident besucht den Kongress. Er sitzt neben Paul Ryan, dem Sprecher des Abgeordnetenhauses. Ryan hat Trump mal einen „Bilderbuchrassisten“ genannt und sich mehrfach vom Kandidaten losgesagt. Trump hat versucht, in Ryans Heimatstaat Wisconsin dessen Gegner zu unterstützen. Jetzt sagt Ryan, wie sehr er sich auf die Arbeit mit dem neuen Präsidenten freue. Und Trump sagt, man werde gemeinsam „fantastische Dinge“ tun.

Sie gehen auf Ryans Bürobalkon, ihre Blicke wandern über die Mall mit all ihren historischen Symbolen. Wie schön ist die Macht. Welcome to Washington, Mr. Trump.

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