In Russland ist man entzückt über Donald Trumps Sieg. Das ist angesichts des amerikanischen Wahlkampfes (in dem die Demokraten unermüdlich behaupteten, dass Trumps Sieg ein Sieg Wladimir Putins sei) verständlich. Aber wenn man ernsthaft über die Perspektiven nachdenkt, sieht die Situation weniger eindeutig aus. Es geht nicht um die bilateralen Beziehungen zwischen Russland und Amerika; die pendeln beständig zwischen Phasen der An- und Entspannung. Es geht um die Welt, für die der Erfolg Trumps das Ende einer wichtigen Ära und eine Zeitenwende einläutet.
Die Krise der liberalen Globalisierung, die ihre Verschärfung mit der Finanzkrise 2008 erlebte, hat die internationalen Beziehungen verändert, vor allem die zwischen den USA und Europa. Und doch blieben die liberalen politischen Losungen die alten. Barack Obama ist dafür das deutlichste Beispiel. Als er im November 2008 siegte, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, verstand er wie kaum ein anderer Amerikaner, dass sich die Welt fundamental verändert hatte und die USA nicht mehr so weitermachen konnten wie bisher. Die Zeit der Dominanz war passé, nun brauchte es andere Methoden.
Obama ging äußerst vorsichtig vor und mied jedes unnötige Risiko. Ihm war bewusst, dass die USA sich vor allem um ihre inneren Probleme kümmern sollten und nicht weiterhin überall eingreifen konnten. Und doch konnte oder wollte er das nicht in aller Deutlichkeit zeigen. Seine Zurückhaltung glich Obama durch eine verschärfte Rhetorik aus. Am Ende waren alle enttäuscht. In der Weltöffentlichkeit entstand der Eindruck, dass die USA unzuverlässig seien und nicht genau wüssten, was sie wollten.
Fjodor Lukjanow
lebt in Moskau und ist Chefredakteur von Russia in Global Affairs, der wichtigsten außenpolitischen Zeitschrift Russlands.
Das Image lässt sich schnell ruinieren
Russlands Reaktion auf Trumps Wahlsieg war ausnahmslos positiv. Allerdings wird Trump keinerlei Sympathie für Moskau aufbringen. Als Pragmatiker wird er versuchen, alle Schwierigkeiten auf seinen Vorgänger abzuwälzen und Russland in seinen neuen Kurs in der Weltarena einzubinden. Wahrscheinlich wird er Russland das Angebot unterbreiten, von China wieder abzurücken, wofür die USA im Gegenzug Nachsicht mit Russland üben. Doch darauf sollte sich Russland keinesfalls einlassen, da es in der nicht westlichen Welt ohnehin den Ruf eines wankelmütigen Partners genießt, der bereit ist, jeden hängen zu lassen, sobald Washington ruft. In den vergangenen Jahren wich dieser Ruf zwar einem beständigeren Image, aber das lässt sich schnell ruinieren.
Die Vorstellung, dass Donald Trump ein Kremlfreund sei, wird sich höchstwahrscheinlich bald auflösen. Sicher, Trump interessiert sich für Putin als starken Führer, beide Männer lehnen jegliche politische Korrektheit prinzipiell ab. Aber wie die Russlandpolitik der Trump-Regierung tatsächlich aussehen wird, kann man nicht voraussagen. Trumps Überzeugung, dass die USA sich nicht mehr überall einmischen sollten, könnte Moskau durchaus imponieren. Mehr Fragen aber werfen Trumps Streben nach Aufrüstung sowie seine Bereitschaft zur Gewaltanwendung, um Respekt zu erlangen, auf. Zwar ist eine Verbesserung der russisch-amerikanischen Beziehungen zunächst insofern wahrscheinlich, als dass sie am Ende von Obamas Amtszeit sehr angespannt waren. Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts gibt es aber keine grundlegende Veränderung in den russisch-amerikanischen Beziehungen, nur zyklische Schwankungen.
Russland kann zufrieden sein mit der Wahl Trumps. Die amerikazentristische Weltordnung, in der Moskau seinen angemessenen Platz partout nicht gefunden hat, geht zu Ende. Weder wollte Russland die Rolle eines Systemgegners einnehmen noch eine untergeordnete Position. Die ihm zugeteilte Zelle innerhalb des „großen Europas“ hat Russland ebenfalls nicht zu belegen vermocht. Gleichzeitig war Russland unfähig, sich ein eigenes Format zu geben. Das verursachte die heftige Krise zwischen Russland und dem Westen, die von Mitte 2010 andauerte. Sollten die USA künftig ihre Ambitionen tatsächlich mäßigen, würde Russland das bekommen, was es wollte: ein vielfältiges internationales System, in dem man nicht länger nach den Regeln spielt, die ohne Russland gemacht wurden.
Wie sollte sich Russland positionieren?
Die Konflikte im Nahen Osten werden auch weiterhin aufflammen, unabhängig davon, wie sich die externen Spieler verhalten. Sich dort noch mehr einzulassen und noch mehr Verantwortung zu übernehmen, birgt ein sehr großes Risiko. Doch die größte Versuchung droht Europa zu werden, dieser ewige Quell russischer Begeisterung und Komplexe. Die EU erlebt ihren Zerfall, Russland könnte sich daran womöglich beteiligen wollen, um einen Teil seiner verlorenen Position wiederherzustellen. Die Zeit dafür ist günstig, soeben erst haben bei den Präsidentschaftswahlen in Moldawien und Bulgarien Politiker gewonnen, die für engere Beziehungen mit Russland stehen. Doch jedes Mal, wenn Russland sich in seiner Geschichte ernsthaft in die europäischen Angelegenheiten eingemischt hat, in der Hoffnung, das Schicksal Europas mitzubestimmen, endete es schlecht für Russland: Es wurde in Kriege hineingezogen, überdehnte sich, musste große Verluste hinnehmen.
Die Entwicklungen der vergangenen Jahre haben Russland gezwungen, seine Politik zu diversifizieren. Russland beginnt, sich Asien zuzuwenden und von der krankhaften Fixierung auf den Westen abzulassen, die für mindestens 200 Jahre prägend war. Es begrüßt die Rückkehr des Pragmatismus in die internationale Politik und das vorläufige Ende der liberalen Ideologie. Aber die Realpolitik, zu der Trump neigt, da ihm jede Ideologie fernliegt, bedeutet einen harten und kompromisslosen Kampf. In dem sieht das russische Potenzial im Vergleich zu Schwergewichten wie den USA oder China bescheiden aus. Das gilt vor allem für die Wirtschaft, wo sich die Konkurrenz noch weiter verschärfen dürfte. Deshalb stellt sich die Frage, ob Russland seine Kräfte nicht überschätzt.
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