Im ölreichen, aber krisengeschüttelten Venezuela müssen die Menschen inzwischen nicht mehr stundenlang sondern tagelang auf Treibstoff warten. „Ich stehe seit gestern an“, sagte Edwin Contreras in San Cristóbal im Westen Venezuelas am Freitag (Ortszeit) der Nachrichtenagentur AFP. Einige seiner Freunde warteten sogar schon seit zwei Tagen in der Schlange.

„Uns beunruhigt, dass der Tankwagen mit dem Benzin nicht kommt und wir deshalb bis Sonntag oder Dienstag warten müssen“, ergänzte der 36-jährige Lehrer, der wegen fehlenden Benzins seit Tagen nicht zur Arbeit gefahren ist.

In Online-Netzwerken wurden Fotos und Videos von Fahrzeugschlangen veröffentlicht, die mehrere Häuserblocks lang sind. Auch spontane Demonstrationen und Handgemenge zwischen wartenden Autofahrern sind dort zu sehen.

Außer den Versorgungsengpässen sorge auch Korruption für lange Wartezeiten, berichten die Schlange stehenden Kunden. Wenn jemand Bestechungsgelder zahle, komme er sofort dran, sagte Francesco Vidal in San Cristobál. Die anderen müssten hingegen „zwei oder drei Tage“ warten.

Galoppierende Inflation

Das sozialistisch regierte Venezuela ist das erdölreichste Land der Welt, leidet aber seit Jahren unter einer schweren Wirtschaftskrise mit Versorgungsengpässen. Um den Bedarf einigermaßen zu decken, muss Venezuela sogar Treibstoff importieren.

Benzin ist in Venezuela weiterhin so billig wie nirgendwo sonst auf der Welt. Für einen Dollar (0,90 Euro) gibt es hier 5400 Liter Benzin – jedenfalls wenn es verfügbar ist. Auf dem Schwarzmarkt kosten 20 Liter hingegen circa zehn Dollar. Venezuela ist das erdölreichste Land der Welt.

Der ökonomische Kollaps in Venezuela sei der größte wirtschaftliche Zusammenbruch eines Landes in den vergangenen 45 Jahren außerhalb eines Krieges, berichten Ökonomen der „New York Times“. Eine solche Tragödie sei außerhalb eines Bürgerkrieges kaum vorstellbar, sagt Wirtschaftskundler Kenneth Rogoff von der Harvard University der Zeitung.

Mittlerweilen verkaufen Frauen ihre Haare, um zu überleben. Kinder werden aus purer Not ausgesetzt oder einfach zurückgelassen.

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Venezuela: Hunger, Drogen, Gewalt

Schuld an der Katastrophe trüge die Politik des Präsidenten Nicolás Maduro und seines Vorgängers Hugo Chávez, die zu galoppierender Inflation geführt habe. Den meisten Bürgern bleibe nun lediglich der Geldwert von ein paar Kilogramm Mehl im Monat. Der Konsum in Venezuela sei „total zusammengebrochen“, sagt Sergi Lanau, Ökonom am Institute of International Finance, der „New York Times“.

Verfolgte Parlamentarier

In Venezuela gibt es seit Monaten einen Machtkampf zwischen Staatschef Nicolás Maduro und dem selbst ernannten Übergangspräsidenten Juan Guaidó. Guaidó wird von mehr als 50 Staaten, darunter Deutschland, als Staatschef anerkannt. Maduro kann bislang auf die Unterstützung großer Teile der Armee sowie Kubas und Russlands zählen.

Die dem Parlament übergeordnete und vollständig von der Regierung kontrollierte Verfassungsversammlung hatte zuletzt diversen Abgeordneten ihre parlamentarische Immunität entzogen, um ihnen wegen Rebellion den Prozess zu machen.

Einige Parlamentarier haben Schutz in ausländischen Botschaften in Caracas gesucht, andere haben sich ins Ausland abgesetzt. Nach dem gescheiterten Umsturzversuch vom 30. April hatte die sozialistische Regierung von Maduro ihr Vorgehen gegen Oppositionelle verschärft (mehr dazu lesen Sie hier).

Ungeklärte Todesfälle

Wegen Ereignissen, die bereits Monate zuvor in dem südamerikanischen Land stattgefunden haben sollen, hat Amnesty International den Internationalen Strafgerichtshof zur Untersuchung angeblicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgefordert.

Es lägen Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen und willkürliche Festnahmen sowie auf Todesfälle durch die Anwendung exzessiver Gewalt vor, heißt es in einem Bericht der Menschenrechtsorganisation. Die Maduro-Regierung soll demnach dafür verantwortlich sein.

Zu den Vorfällen sei es vor allem nach den gewaltsamen Ausschreitungen bei Protesten gegen Maduro im Januar gekommen. Die Opposition werde systematisch unterdrückt.

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