Ein als Verschwörungstheoretiker verschriener Historiker soll in der Westfalenhalle reden. Experten werfen Daniele Ganser Holocaustrelativierung vor.Waren die Anschläge des 11. September 2001 durch die US-Regierung geplant – oder zumindest bewusst zugelassen? Der Historiker Daniele Ganser meinte dazu einst: „Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir erneut getäuscht werden.“ Die Aussage stammt aus einem Vortrag Gansers im Jahr 2016 in Wien, der Historiker bestärkt damit die durch und durch diskreditierten Theorien sogenannter „Truther“ an, die der US-Regierung eben das vorwerfen.Ende März will Ganser im Rahmen einer Vortrags-Tour in der Dortmunder Westfalenhalle sprechen – zum Entsetzen der Grünen-Stadtratsfraktion, die den Schweizer bei der Ratssitzung am 9. Februar zum Thema machen und so den Auftritt in Dortmund verhindern will. Bis zu 3.060 Menschen finden auf 2500 Quadratmetern in der „Westfalenhalle 2“, wo der Vortrag stattfinden soll, Platz.Vorwürfe gegen die USA, Schweigen zu RusslandDer 11. September ist nicht mehr Gansers Herzensthema, er hat inzwischen, wie so viele, ein neues gefunden, aus dem der Schweizer seine Vortragsreihe gestrickt hat: „Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?“ Die Rolle des Aggressors Russland kommt in der Veranstaltungsankündigung allerdings nicht ein einziges mal vor – dafür werden die USA ganze sechs mal erwähnt. Stattdessen steht dort unter anderem: „Die USA sind an vielen dieser Kriege beteiligt.“ Ganser hatte sich bereits 2014 nach Russlands völkerrechtswidriger Invasion der ukrainischen Halbinsel Krim zu dem Thema eingelassen. Titel eines Vortrages in Berlin damals: „Ukraine 2014, ein illegaler Putsch.“ Der illegale Putsch, das war in Gansers Lesart allerdings nicht die militärische Präsenz Russlands auf ukrainischem Gebiet, sondern die demokratische Wahl des westlich orientierten Präsidenten Petro Poroschenko. Dessen Nachfolger fünf Jahre später: Wolodymyr Selenskyj.“Ziel, die Demokratie zu zerstören“Unter anderem diese Haltung zum Krieg in der Ukraine, so sieht es die Grünen-Fraktion im Dortmunder Stadtrat, macht Ganser zu einem der „aktivsten Akteure der verschwörungsideologischen Szene im deutschsprachigen Raum“. Der Schweizer habe Verbindungen zu rechten Medien, schreiben die Grünen, und nennen als Beispiel unter anderem ein Magazin, das der Verfassungsschutz seit 2021 als „gesichert rechtsextremistisch“ einstuft.Die Meinungsfreiheit, so schreiben es die Fraktionssprecher Ingrid Reuter und Christoph Neumann, sei ein hohes Gut. Dennoch gelte es auch, „die demokratischen Räume zu schützen und zu verteidigen“. „Verschwörungsideolog*innen“ wie Ganser hätten das Ziel, „die Gesellschaft zu spalten, um schlussendlich die Demokratie zu zerstören. Das lassen wir nicht zu.“Corona-Doku mit Ulrike GuérotGanser steht nicht nur wegen seiner Thesen zur Ukraine in der Kritik: Der Trierer Politikwissenschaftler Markus Linden nennt ihn „einen hochintelligenten Wissenschaftspopulisten“, für Patrick Guyton von der „taz“ ist er ein „Verschwörungsguru“. Und die „NZZ“ schreibt: „Gansers Einkommen hängt von seinem Publikumserfolg ab. Und er hat keine Bedenken, diesen zu maximieren.“ Mit augenscheinlichem Erfolg: Ganser ist Bestsellerautor, seine Bücher behandeln unter anderem angebliche NATO-Geheimarmeen in Europa und das „Imperium USA – Die skrupellose Weltmacht“.Im Rahmen eines niederländischen Dokumentarfilmes über die Corona-Pandemie zog Ganser Vergleiche zum Dritten Reich und dem Holocaust. Der Wahnsinn des Holocausts sei „lokal“ gewesen, „aber jetzt ist weltweit Wahnsinn“. Geimpfte und Ungeimpfte zögen „wie zwei Armeen“ gegeneinander.Die Sozialpsychologin Pia Lamberty wirft Ganser deshalb vor, den Holocaust zu verharmlosen: „Die Logik seiner Aussagen lautet, wenn man es zu Ende denkt: Die Ungeimpften sind die neuen Juden.“ Auch das sei eine Form des Antisemitismus. Ebenfalls in dem Film zu sehen: Ulrike Guérot, Professorin an der Uni Bonn und selbst mehrmals mit eigenwilligen Aussagen zur Pandemie aufgefallen.Vortrag 2021 „ohne Zwischenfälle“Es wäre nicht Gansers erstes Mal in Dortmund: Bereits im Jahr 2021 hatte er in der Westfalenhalle gesprochen. Damals hatten die Verantwortlichen der Westfalenhalle bereits erfolglos versucht, aus dem Vertrag mit Ganser herauszukommen – sein Vortrag fand statt. Die Grünen wollen nun geklärt wissen, wie es zu dem neuerlichen Kontrakt kommen konnte.Bei der Westfalenhalle erinnert man sich an den Vortrag vor zwei Jahren. Der, so sagt es ein Sprecher gegenüber dem Portal „Ruhr24“, sei „ohne Zwischenfälle“ verlaufen. Man wolle auch die im März wieder „intensiv beobachten“ und behalte sich vor, „künftig entsprechend (…) zu reagieren“. Die Stadt Dortmund ist alleinige Gesellschafterin der Westfalenhallen GmbH.Daniele Ganser war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
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