Die Bundeswehr mit tiefen Taschen auf Vordermann zu bringen, ist Teil der vielbeschworenen „Zeitenwende“. Doch auch 100 Milliarden Euro sind dafür nicht genug, meint der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“. 

Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius hält den Finanzbedarf der Bundeswehr durch den im vergangenen Jahr aufgelegten 100-Milliarden-Euro-Sondertopf nicht für gedeckt. „Die 100 Milliarden Euro werden nicht reichen“, sagte der SPD-Politiker der „Süddeutschen Zeitung“ (Wochenendausgabe). „Wir haben mit jedem neuen System auch neue Unterhaltungskosten. Mit jedem neuen Gerät entstehen also neue und höhere laufende Kosten.“ Auf die Frage, ob es denn dann beim regulären Etat von rund 50 Milliarden Euro im Jahr bleiben könne, erwiderte Pistorius: „Ich gehe nicht davon aus, dass das reicht.“

Das sogenannte Sondervermögen im Umfang von 100 Milliarden Euro zur besseren Ausrüstung der Bundeswehr war von der Bundesregierung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine auf den Weg gebracht worden.Wer liefert welche Waffen in die Ukraine 17.21

Boris Pistorius sieht Aussetzung der Wehrpflicht als Fehler

Pistorius hatte jüngst Gespräche mit der Rüstungsindustrie angekündigt, um durch Waffenlieferungen an die Ukraine entstandene Lücken bei der Bundeswehr möglichst rasch zu schließen. Mit Blick auf die jüngst angekündigte Überlassung von 14 Leopard-2-Panzern sagte Pistorius der „SZ“: „Natürlich machen wir uns auf den Weg, Ersatz zu beschaffen.“ Panzer stünden aber nicht irgendwo „im Regal zum Mitnehmen“.

Die Aussetzung der Wehrpflicht durch die schwarz-gelbe Bundesregierung im Jahr 2011 bezeichnete der Minister als Fehler. „Wenn Sie mich als Zivilisten fragen, als Staatsbürger, als Politiker, würde ich sagen: Es war ein Fehler, die Wehrpflicht auszusetzen.“ Er meine das gar nicht wegen der heutigen Situation. „Unsere Parlamentsarmee gehört in die Mitte der Gesellschaft. Früher saßen eben an jedem zweiten Küchentisch Wehrpflichtige. Auch dadurch gab es immer eine Verbindung zur Zivilgesellschaft.“ Aber das lasse sich nicht einfach so zurückholen. Jetzt müsse man die Bundeswehr so attraktiv machen, dass sich gute junge Leute für sie interessieren und sich bewerben.

Auf die Frage, ob das reiche, sagte Pistorius: „Wenn Sie mich fragen, Jahrgang 1960, was ich davon halte, dass man eine Pflicht erfüllt, auch für den Staat, dann würde ich jederzeit sagen: Ja!“ Er habe aber ein Problem damit, jüngeren Generationen jetzt eine Pflicht aufzubürden. „Deswegen bin ich zurückhaltend. Aber man sollte mit denen offen darüber diskutieren, die es betrifft, da wir gerade eine Entfremdung zwischen Teilen der Gesellschaft und dem Staat wahrnehmen“, ergänzte er unter Verweis auf Angriffe gegen Feuerwehrleute und Polizisten.STERN PAID Interview Militärexperte Ukraine Deutschland 14.36

Pistorius hält Lieferung von Kampfjets an Kiew „für ausgeschlossen“

Die Lieferung deutscher Kampfflugzeuge an die Ukraine lehnt der Verteidigungsminister ab. „Ich halte das für ausgeschlossen“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“. „Kampfflugzeuge sind viel komplexere Systeme als Kampfpanzer und haben eine ganz andere Reichweite und Feuerkraft. Da würden wir uns in Dimensionen vorwagen, vor denen ich aktuell sehr warnen würde.“

Nach der Zusage von Deutschland und weiteren westlichen Ländern, der Ukraine Kampfpanzer zu liefern, hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unter anderem Kampfflugzeuge erbeten. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schloss jedoch eine Lieferung von Kampfjets aus.

Pistorius mahnte zugleich, die ukrainische Luftabwehr weiter zu stärken. In dem Land sind unter anderem in Deutschland hergestellte Flugabwehrpanzer vom Typ Gepard im Einsatz – bei ihnen gibt es allerdings Probleme mit dem Nachschub an Munition. Deutschland wollte in der Schweiz hergestellte Munition für den Panzer an die Ukraine weitergeben; das untersagte aber die Regierung in Bern. Als mögliche weitere Lieferländer für die Gepard-Munition gelten Brasilien und Katar.

Pistorius hatte das Amt vor gut einer Woche nach dem Rücktritt seiner Vorgängerin Christine Lambrecht (auch SPD) übernommen.

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