Wenn Alexander Gauland mit der Verharmlosung des verbrecherischen NS-Regimes provozieren wollte, hat er sein Ziel erreicht: Die Aufregung in der Presse, den Parteien und sozialen Netzwerken ist immens. Der Partei- und Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag hatte am Samstag beim Bundeskongress der AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative im thüringischen Seebach gesagt:
„Wir haben eine ruhmreiche Geschichte, daran hat vorhin Björn Höcke erinnert. Und die, liebe Freunde, dauerte länger als die verdammten zwölf Jahre. Und nur, wenn wir uns zu dieser Geschichte bekennen, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten. Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die zwölf Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.“
Auch dem Historiker und Autor Moritz Hoffmann stoßen Gaulands Sätze übel auf. Besorgnis löst bei dem 32-Jährigen aber weniger die „Vogelschiss“-Aussage aus, als die Distanzierung von den Gräueltaten in der NS-Zeit. Warum, erklärt der Geschichtswissenschaftler mit Schwerpunkt auf europäische und deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts dem stern.
Historiker: Das will Alexander Gauland bezwecken
Herr Hoffmann, Ihr Problem an Alexander Gaulands „Vogelschiss“-Rede ist in erster Linie nicht das Wort „Vogelschiss“. Sie stören andere Formulierungen. Warum?
Moritz Hoffmann: Dass sich nun die größte Kontroverse am Wort „Vogelschiss“ entzündet, ist logisch: weil es so plakativ ist. Mich stört aber vor allem der implizite und keineswegs neue Wunsch, aus der Zeit des Nationalsozialismus eine von außen und nur ein Dutzend Jahre über Deutschland gekommene Heimsuchung zu machen. „Hitler und die Nazis“, davon lässt es sich leicht distanzieren. Dass es ganz normale und enorm viele Deutsche waren, die sich nicht nur einer abstrakten Verantwortung des Landes, sondern einer ganz individuellen Schuld stellen mussten und gemusst hätten, davon redet Gauland natürlich nie.
Für Gauland ist auch das ‚Dritte Reich‘ deutsche Geschichte, aber offenbar nicht Geschichte der Deutschen
Auf Twitter haben Sie geschrieben, dass Alexander Gauland versuche, die „deutsche Verantwortung kleinzuhalten“. Warum sollte er das wollen?
Im Kern dieses Redeabschnittes geht es ja darum, dass Gauland Stolz auf nicht näher definierte tausend Jahre deutsche Geschichte – mit Ausnahme dieser zwölf Jahre – verbreitet sehen möchte. Im vergangenen September hat er ja schon öffentlich verlangt, stolz auf deutsche Schlachten gegen französische und britische Truppen von 1870 und 1917 sein zu können. Es geht Gauland also darum, einen positiven deutschen Mythos zu pflegen, eine Art sachdienliche Verwendung von Geschichte für ein positives Deutschland. Da stören diese, wie er selbst sagt, „zwölf Jahre“ natürlich. Also versucht er sie einerseits kleinzuhalten, indem er ihre reine Dauer in Jahren betrachtet, und andererseits die Verantwortung zu veräußern. Für Gauland ist auch das „Dritte Reich“ deutsche Geschichte, aber offenbar nicht Geschichte der Deutschen.
Alexander Gauland habe den Nationalsozialismus als „Fliegenschiss“ bezeichnet, seiner Meinung nach „eine der verachtungsvollsten Charakterisierungen, die die deutsche Sprache kennt.“ In seiner Stellungnahme nach dem Eklat sagte er außerdem, das könne „niemals eine Verhöhung der Opfer dieses verbrecherischen Systems sein.“ Haben wir Alexander Gauland einfach nur falsch verstanden?
Ich bezweifle, dass Gauland die Opfer des Nationalsozialismus verhöhnen wollte. So wie ich seine Äußerungen zur Geschichtspolitik seit Jahren verfolge, sind die Opfer ihm schlicht egal. Schon vor Jahren hat er davon gesprochen, dass Auschwitz viel in uns Deutschen zerstört habe. Kein Wort von den tatsächlichen Opfern, den Ermordeten des Vernichtungslagers. Gaulands einziger Bezugspunkt sind die Deutschen, und da lässt er die deutschen Opfer nationalsozialistischer Verfolgung schon außen vor. Deutsche Geschichte existiert für ihn nur so, dass sie deutschen Interessen nützt. Deswegen redet er ja auch davon, dass die anderen rund 988 Jahre der deutschen Geschichte ein Erfolg seien und ignoriert dabei die vielen unrühmlichen Kapitel, die nur deshalb kein so großes Thema sind, weil sie in anderen, vornehmlich europäischen Ländern genau so vorgekommen sind.
Alexander Gauland hat ein ziemlich aus der Zeit gefallenes Verständnis von Patriotismus
Alexander Gauland wollte schon die frühere Integrationsbeauftragte Özogus „in Anatolien entsorgen“. Über die NS-Zeit sagte er, man „muss uns diese zwölf Jahre nicht mehr vorhalten. Sie betreffen unsere Identität heute nicht mehr.“ Man könne „stolz sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen.“ Ist das völkisches Denken?
Völkisches Denken fängt ja letztlich schon da an, wo Gauland meint, eine gebürtige Hamburgerin sei keine Deutsche, weil ihre Eltern nicht als Deutsche geboren wurden. Natürlich geht es dort weiter mit der Idee, man könne Menschen, gleich wo, „entsorgen“. Gaulands Wunsch nach Stolz auf Soldaten zweier Weltkriege ist allerdings bezeichnend: Er möchte „die zwölf Jahre“ nicht mehr vorgehalten bekommen, möchte aber stolz sein auf die Soldaten, die genau diese zwölf Jahre mit Waffengewalt erobert und verteidigt haben. Gauland möchte sich Rosinen aus der Geschichte picken und den Rest gerne abhaken.
Welche Botschaft versucht Gauland zu vermitteln? Und welche Folgen könnte das haben, sollte sie verfangen?
Alexander Gauland hat ein ziemlich aus der Zeit gefallenes Verständnis von Patriotismus, eines das sich tatsächlich eher aus dem 19. Jahrhundert speist. Dieser Patriotismus versteht sich gerade auch in Abgrenzung zu anderen Ländern, er wünscht sich Stolz auf militärische Siege gegen unsere Nachbarn. Ich bezweifle, dass sich diese Vorstellung in den Generationen, die in einem offenen Europa aufgewachsen sind, auch nur halbwegs durchsetzen lässt. Bei der „Jungen Alternative“ mag so etwas funktionieren, in der Welt außerhalb der AfD gibt es dafür keinen großen Nährboden.
Anmerkung der Redaktion: Moritz Hoffmann hat unsere Fragen schriftlich beantwortet.
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