Es ist ein Kurswechsel der Bundesregierung, manche sprechen sogar von einem Tabubruch: Deutschland liefert Schützenpanzer an die Ukraine. Ein Schlussstrich unter die Debatte über Waffenlieferungen ist das aber längst noch nicht.
Wird Deutschland Kampf- oder Schützenpanzer in die Ukraine schicken? Kaum eine Frage ist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in den vergangenen Monaten so häufig gestellt worden. Jetzt gibt es zumindest eine Teilantwort: Im ersten Quartal sollen 40 Schützenpanzer vom Typ Marder in die Ukraine geliefert werden. Ukrainischen Soldaten soll die Bedienung in achtwöchigen Lehrgängen in Deutschland beigebracht werden. Die Panzerlieferung ist Teil einer konzertierten Aktion mit den USA und Frankreich. Die Nato-Staaten kommen damit nach vielen Monaten einer Bitte der Ukraine nach. Ganz erfüllt ist sie mit den jetzt erfolgten Zusagen aber noch nicht.PAID analyse Marder
Warum hat Scholz die Entscheidung erst jetzt nach langem Zögern getroffen?
Deutschland und seine Nato-Verbündeten hatten nach dem russischen Angriff auf die Ukraine zunächst auf die Lieferung von Kampf- und Schützenpanzern sowjetischer Bauart gesetzt, über die einige osteuropäische Staaten noch verfügten. Der Grund: Dafür war für die Ukrainer keine zusätzliche Ausbildung erforderlich, die Panzer waren sofort einsatzbereit. Nach Darstellung der Bundesregierung ist das Konzept erst jetzt an seine Grenzen gestoßen. Panzer wurden zerstört, die Munition wird knapp. Außerdem sei zu befürchten, dass im Frühjahr das Kampfgeschehen wieder zunehme, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Freitag. Seit einiger Zeit verlegt Russland zusätzliche Waffen ins Kriegsgebiet, was von westlichen Militärexperten als Vorbereitung für eine neue russische Offensive verstanden wird.
Was bringen die Marder aus Deutschland den ukrainischen Streitkräften?
Die Marder wurden zwar schon vor mehr als 50 Jahren für die Bundeswehr entwickelt, sie wurden aber immer wieder modernisiert und können in einer solchen Situation eine wichtige Hilfe sein. An der Front machen sie die Truppen flexibler, indem sie einen gepanzerten Transport von Soldaten ermöglichen. Zugleich geht von der Lieferung dieses westlichen Waffensystems eine Botschaft an die Truppe aus. In der Materialschlacht gegen Russland signalisiert der Westen: Wir können nachliefern.Grafiken WWaffensysteme
War die Panzer-Entscheidung zwischen den Bündnispartnern abgestimmt?
Scholz hat immer betont: Bei den Panzern wird es keine Alleingänge geben. Diesem Anspruch ist er gerecht geworden. Die Entscheidung wurde über mehrere Wochen mit den USA und Frankreich vorbereitet und abgestimmt. Die Verkündung war dann allerdings nicht besonders gut koordiniert. Der französische Präsident Emmanuel Macron preschte bereits am Mittwoch vor, und sagte dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Lieferung von schwer bewaffneten Spähpanzern zu. Erst einen Tag später gaben Scholz und Biden dann die Lieferung der Schützenpanzer der Typen Marder und Bradley bekannt. Regierungssprecher Hebestreit sieht darin kein Problem: Ob es da einen Abstand von einigen Stunden in der Kommunikation gebe oder nicht sei „letztlich Mumpe“, sagt er.
Warum schickt Deutschland nun doch Patriot-Flugabwehrraketen?
Diese Ankündigung ist eine Überraschung. Nachdem die USA sich vor Weihnachten entschieden, Patriot-Batterien für die Luftabwehr zur Verfügung zu stellen, hieß es aus Deutschland zunächst: Wir haben keine Kapazitäten mehr. Jetzt kann die Bundeswehr doch noch eines der Systeme aus US-Produktion entbehren, obwohl sie selbst nur noch 12 von einst 36 zur Verfügung hat – und davon befindet sich etwa die Hälfte bei der Industrie zur technischen Aufrüstung. Als einen nötigen „Kraftakt“ für die Truppe, bezeichnet der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, die Abgabe der Raketensysteme und die nun geplante schnelle Ausbildung der Ukrainer: „Aber es muss sein in diesen besonderen Zeiten.“
Wird Deutschland mit den neuen Zusagen Kriegspartei?
Politiker der Ampel-Koalition weisen immer wieder darauf hin, dass Deutschland und andere Verbündete nach internationalem Rechtsverständnis mit ihren Waffenlieferungen nicht zur Kriegspartei werden. Für Kanzler Scholz hat es oberste Priorität, nicht in den Krieg hineingezogen zu werden. Moskau behauptet dagegen seit Monaten, dass die Nato bereits Kriegspartei in der Ukraine sei. Diese Aussage dient einerseits innenpolitischen Zwecken, um das Desaster des russischen Einmarsches in der Ukraine der eigenen Bevölkerung zu erklären, andererseits schwingt außenpolitisch die Drohung mit, den Konflikt bei Überschreiten „roter Linien“ eskalieren zu lassen. Die „roten Linien“ haben sich aber schon mehrfach verschoben.Deutschland liefert marder-Panzer an Ukraine
Wie reagiert Russland auf die Panzer-Zusage an die Ukraine?
Der Kreml selbst reagierte zunächst nicht. Das hing wohl auch damit zusammen, dass Russland vor dem orthodoxen Weihnachtsfest stand. Das tägliche Briefing von Kremlsprecher Dmitri Peskow gab es daher am Freitag nicht. Die russische Botschaft in Berlin erklärte allerdings, Deutschland überschreite mit den Marder-Lieferungen eine moralische Grenze, auf die es angesichts der von den Nationalsozialisten verübten Verbrechen kein Recht habe.
Werden demnächst auch Kampfpanzer geliefert?
Moderne westliche Kampfpanzer sind viel besser bewaffnet und besser gegen Angriffe geschützt als die Schützenpanzer Marder und Bradley. Sie können damit gegen russische Kampfpanzer in die direkte Konfrontation gehen („Duellfähigkeit“). Die Ukraine hofft deswegen, dass Nato-Staaten ihre Offensivfähigkeiten mit Panzern der Typen Leopard (Deutschland), M1 Abrams (USA) oder auch Leclerc (Frankreich) stärken werden. Es ist eine politische Entscheidung, bei der es auch auf grünes Licht auf Deutschland ankommt. Einige Staaten wie Finnland und Spanien haben noch ältere Modelle wie den Leopard 2A4 auf Lager. Es gibt schon vereinzelte Signale, dass sich diese Staaten einer gemeinsamen Initiative mit Deutschland anschließen könnten.Paid Spähpanzer Bedeutung Analyse 17.21
Was wünscht sich die Ukraine sonst noch von den Verbündeten?
Der ukrainische Vizeaußenminister und Ex-Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, hat wiederholt die Lieferung von Kampfflugzeugen oder Kriegsschiffen in die Ukraine gefordert. Der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität München meint, dass zumindest Kampfflugzeuge sowjetischer Bauart vom Typ MiG-29 sinnvoll wären. „Das ist genau das Gerät, das die Ukraine in dieser Phase des Krieges dringend benötigt.“ Bei Schiffen ist dagegen ein schneller Nutzen kaum zu erkennen. Was sich hingegen schon als erfolgreich bewiesen hat: Raketen oder schwimmende Drohnen, die russische Schiffe vor der Schwarzmeer-Küste der Ukraine zerstören können.
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