Wer den amerikanischen Wahlkampf verfolgt, kommt schnell auf den Gedanken, ein so bizarres Rennen um die Präsidentschaft der USA habe es noch nie gegeben. Das stimmt zwar nicht so ganz. Denn die Geschichte der amerikanischen Wahlen kennt bisweilen abstruse Kampagnen und schreckliche Interessenten für das Weiße Haus obendrein: den Boulevardzeitungsverleger, Mussolini- und Hitler-Bewunderer Randolph Hearst etwa. Oder den Antisemiten Henry Ford, der durch die Einführung des Fließbands in der Autoindustrie reich geworden ist. Aber keiner von ihnen hat es je so weit gebracht wieDonald Trump.
Mehr als sechs Milliarden Dollar lassen sich dieUSA die Kür eines neuen Präsidenten in diesem Jahr kosten, um aus geschätzt 150 Millionen möglichen Bewerbern schließlich einen herauszufiltern. Viel Geld für die dünne Alternative von 2016. Denn für die beiden Kandidaten gilt: Der eine würde allein schon wegen seiner rassistischen Sprüche wie wegen seines Umgangs mit Frauen vermutlich nicht mal zum Chef eines Provinz-Postamts befördert werden. Seine Konkurrentin Hillary Clinton kann zwar einen Lebenslauf vorweisen, nach dem sie alles für eine politische Karriere Wesentliche abgehakt hat: Senatorin, Außenministerin, sogar Präsidenten-Gattin. Nur scheint sie für ihre Rückkehr ins Weiße Haus allein zu interessieren, wie sie dort hineingelangt. Die dafür nötigen Ansichten wechseln mit der Wetterlage.
Trump bündelt den Frust der Hillbillys
So reibt sich die Welt wenige Tage vor dem Wahltermin ungläubig die Augen. Fürchtet, was kommen könnte. Und erkennt, dass sie machtlos ist, auf einen Prozess Einfluss zu nehmen, der nicht bloß die Vereinigten Staaten ins Unheil zu stürzen vermag. Man muss schon über eine Armada von Hackern verfügen, um vielleicht doch noch den Wahlausgang von außen zu manipulieren. Gegen solche Cyberangriffe auf die Mail-AccountsHillary Clintons und ihrer Mitstreiter, nach allem Anschein russischer Herkunft, scheint ein Einbruch ins Hauptquartier eines Wahlkampfteams wie einst bei Watergate heute nicht bloß altmodisch, sondern geradezu banal. Auch das macht diesen Wahlkampf so bizarr.
Schon vor einer Weile hat die Suche nach den Ursachen vor allem für den bemerkenswerten Aufstieg des Immobilienmoguls Donald Trump zum ernsthaften Bewerber begonnen. Wie hat es ein aggressiver, selbstverliebter, ungebildeter Mann mit Beleidigungen und dummen Sprüchen nur so weit bringen können? Weil er ein aggressiver, selbstverliebter, ungebildeter Mann mit Beleidigungen und dummen Sprüchen ist.
Donald Trump verkörpert alles, was vielen anAmerika abstoßend erscheint. Deshalb lehnten ihn vier von fünf Deutschen nach einer Umfrage bereits im Frühjahr ab, Monate vor Trumps schlimmsten Entgleisungen. Im eigenen Land steht der Kandidat bei Weitem nicht so schlecht da wie bei uns. Denn er repräsentiert ganz offensichtlich eine wachsende Zahl von Amerikanern, die ihr eigenes Land und seine Politik inzwischen abstoßender finden als den Bewerber der Republikaner.
Der 32-jährige Silicon-Valley-Unternehmer J. D. Vance hat zu diesem Phänomen im Sommer ein spannendes Buch herausgebracht. „Hillbilly Elegy“ heißt es, ein sympathisch-trauriger Abgesang auf die Hillbillys, jene verarmten Hinterwäldler aus den einst blühenden Kohle- und Stahlregionen der Appalachen, unter denen Vance aufgewachsen ist. Hier findet Donald Trump seine entschiedensten Anhänger und Hillary Clinton vermutlich ihre rachsüchtigsten Gegner. Hier in der Provinz lebt, nach Jahren der Arbeitslosigkeit, in trostlosen Kleinstädten und ohne realistische Perspektive auf Besserung, was in den USA „white trash“ genannt wird, die weiße Unterschicht.
Zwei Beobachtungen von Vance beschreiben, was diese einst stolzen Leute in die Arme des republikanischen Kandidaten treibt: Man darf sich in Amerika schon lange nicht mehr über Frauen, über Schwarze, Schwule oder andere Minderheiten lustig machen. Aber über den „white trash“ darf man herziehen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Wer so ausgegrenzt wird vom Rest der Gesellschaft und ihrem politischen Spiel, macht bei Wahlen kaum mehr mit. Es sei denn, ein großmäuliger Außenseiter wie Donald Trump kommt daher. Darum der Enthusiasmus für Trump, für seinen Sexismus und Rassismus, für seine Lust, alle Regeln des Anstands zu brechen.
Und dann verspricht dieser Kandidat auch noch „Let’s make America great again“. Dass alles wieder besser wird. Und so wie früher. Donald Trump ist damit für die Leute aus der Heimat von J. D. Vance, was der nächste Kick für seine drogensüchtige Mutter war: Kurzfristig fühlt es sich großartig an, selbst wenn bald darauf die Lage noch auswegloser und der Entzugsschmerz noch größer geworden ist.
Die Menschen, die Trump im Weißen Haus sehen wollen, eint nicht allein der Hass auf die Eliten in Politik und Medien, in den liberalen Orten von Ost- und Westküste. Sie trauern dem Mythos nach, der ihr Land einst so besonders machte. Und der ihnen als amerikanische Staatsbürger ebenfalls eine besondere Aura gab. Sie alle waren der amerikanische Traum schlechthin: einfache Leute, die es mit harter Arbeit zu etwas gebracht haben.
Die alte Ordnung löst sich auf
Der Historiker Michael Kimmage hat das so formuliert: „In keinem anderen Land ist der Weg in die Mittelschicht oder obere Mittelschicht so betörend wie in Amerika, was auch immer die Statistiken sagen mögen über die wahre Klassenstruktur, das tatsächliche Armutsniveau, den echten Stillstand an Chancengleichheit. Der amerikanische Traum verspricht unverzüglichen Besitz und ultimatives Glück, jeglichen Konsumgegenstand und damit metaphysische Freude.“
Doch eben dieser Glaube ist erschüttert. Infolge der Finanzkrise vor acht Jahren sieht sich heute die Hälfte der Bürger „weit“ oder „sehr weit“ davon entfernt, aus dem Traum Wirklichkeit werden zu lassen.
Das Krisenjahr 2008 bescherte diesen Menschen noch ein weiteres Unglück: Amerika bekam einen schwarzen Präsidenten. Unmittelbar nach den Wahlen formierten sich im Internet hatte groups“ , die den neuen Mann im Weißen Haus verunglimpften. Als Muslim. Als Ausländer. Donald Trump war einer der prominentesten Vertreter der sogenannten birther – Leute, die Barack Obama das Recht absprachen, US-Präsident zu sein, weil er angeblich nicht, wie das Gesetz es verlangt, im Land geboren worden war. Eine Lüge, die noch heute nachwirkt.
Die afro-amerikanische Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison hat einmal über die USA gesagt: „In diesem Land bedeutet amerikanisch weiß. Jeder andere braucht einen Bindestrich.“ Damit drückt sie nicht bloß das Gefühl vieler Schwarzer, Latinos oder asiatischer Einwanderer aus, Menschen zweiter Klasse zu sein. Sie beschreibt auch, dass die Weißen stets bestimmten, nach welchen Regeln ihr Land funktioniert. Mit Obamas Wahl war diese Vorherrschaft erschüttert.
Der Rassismus von Trump und seinen Anhängern – ihre Hetze gegen Mexikaner wie gegen Schwarze in den Slums der großen Städte – ist das womöglich letzte Aufbäumen des weißen Mannes gegen die multikulturelle Realität der amerikanischen Gesellschaft. Die alte Idee vom „Schmelztiegel“ umfasst schon lange nicht mehr bloß europäische Einwanderer aus Irland oder Deutschland, aus Italien oder den Ländern Osteuropas, nicht mehr nur Protestanten, Katholiken und Juden. Hier formt eine Weltgesellschaft etwas Neues, und die Weißen sind nur eine, wenn auch große Gruppe unter vielen.
Hinzu kommt eine Art Kulturkampf. Die wachsende Ungleichheit, der immer größere Reichtum von wenigen, während die Mehrheit sich mit stagnierenden Einkommen oder gar Verlusten arrangieren muss – das Voranschreiten der Armut also geht mit dem Verlust überkommener Werte einher. Schwule dürfen heiraten, Frauen stehen nicht mehr so oft am Herd, Drogen werden legalisiert, Englisch ist nicht länger die einzige Sprache in weiten Teilen des Landes, und die Schwarzen protestieren gegen den Rassismus der Polizei.
Wo sich die alte Ordnung derart aufzulösen scheint, ist Verunsicherung nur verständlich. Und für politische Kampagnen gilt mehr denn je: Mit Angst und dem Wüten gegen die angeblich oder tatsächlich so erbärmlichen Verhältnisse lassen sich Stimmen holen. Das hat Donald Trump mit seinen Tweets, seiner Hetze und seinen Lügen perfektioniert.
Dabei wirkt seine Angstkampagne wohl nur nach heutigen Maßstäben bizarr. Wir sind nicht mehr gewohnt, solche Verunglimpfungen zu erleben. Als etwa Thomas Jefferson im Jahr 1800 versuchte, sich gegen seinen Gegner, den US-Präsidenten John Adams, durchzusetzen, sah er sich einer Rufmordkampagne ausgesetzt: Jefferson, so Adams‘ Unterstützer, hätte seine Schuldner betrogen und eine Witwe um ihre Pension gebracht. Sollte er an die Macht kommen, würde er alle Bibeln verbrennen und die Ehe für illegal erklären lassen. Frauen bliebe nur die Prostitution. Adams‘ Leute ließen den Herausforderer sogar für tot erklären, und es dauerte zu damaliger Zeit eine Woche, bis Jefferson das Land vom Gegenteil überzeugt hatte. Trotz der Kampagne zog Jefferson 1801 insWeiße Haus ein und wurde einer der großen Präsidenten der Vereinigten Staaten.
Dass die USA am Ende des bizarren Wahlkampfs im Jahre 2016 einen Präsidenten oder eine Präsidentin vom Format eines Thomas Jefferson erhalten werden, erwartet niemand. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass Donald Trump das Rennen um das Weiße Haus deutlich verliert. Die liberalen Eliten an Ost- und Westküste, die Schwarzen, die Hispanics und vor allem die Frauen werden mit großer Wahrscheinlichkeit Hillary Clinton den Sieg bringen – trotz der nun wieder aufgeflammten Debatte um ihre Mails, die sie einst als Außenministerin vom privaten Server verschickt hat.
Doch Trump hat Amerika schon jetzt womöglich nachhaltig verändert. Weniger weil er im Kampf um das höchste Amt im Staat eine Schlammschlacht geführt hat. Sondern weil er Zweifel daran gesät hat, dass es in den USA überhaupt noch mit rechten Dingen zugeht. Für ihn und seine Anhänger wird das Land von illegalen Einwanderern überrannt. Und die Kriminalität erreicht nie gekannte Ausmaße. Dass diese Darstellung nicht den Fakten entspricht, interessiert sie nicht. Darauf hinzuweisen deuten sie als Ausdruck einer allgemeinen Verschwörung. Mal der Medien, mal von etablierten Politikern wie Hillary Clinton.
Wie der starke Mann in der Bananenrepublik
Nach den Vorstellungen von Trump und seinen Fans gehört seine Konkurrentin ins Gefängnis. Eben das hat er ihr angedroht, sollte er die Wahl gewinnen, ganz so wie der Möchtegern-starke-Mann einer Bananenrepublik in einer politischen Auseinandersetzung. Zugleich bereiten der republikanische Kandidat und seine Verfechter jetzt schon ihre Rechtfertigungen vor, falls die Wahl für Donald Trump verloren geht: Die Verschwörer in Washington und den Medien haben das politische System der USA ausgehöhlt und die Wahlen manipuliert.
Dies ist nichts weniger als ein frontaler Angriff auf die Verfassung und den Kongress der USA. Darin liegt die neue und ungeheuerliche Dimension des Wahlkampfs von Donald Trump. „Demokratische Institutionen, wie alle Institutionen, können korrodieren und im Laufe der Zeit ausgehöhlt werden“, sagt die New Yorker Politikwissenschaftlerin Sheri Berman, die sich mit der Zerstörung parlamentarischer Systeme in Europa wie in Lateinamerika beschäftigt hat. „Selbst wenn Trump kein Orbán wird, und noch weniger ein Mussolini, könnte er so viel Schaden anrichten, dass der Nächste nach ihm noch mehr Spielraum bekommt.“ Wer sich unter republikanischen Wählern umschaut, kommt zu einem Ergebnis, das Anlass zur Sorge gibt. Ganz gleich, wie das Rennen um das Weiße Haus dieses Mal ausgeht, die meisten von ihnen wünschen sich, das ergab eine Umfrage des Wirtschaftsdiensts Bloomberg, einen Kandidaten wie Trump: einen Politiker, der ihre Wut artikuliert, vor allen warnt, die nicht weißer Hautfarbe sind, der an Verschwörungstheorien glaubt.
Die „Washington Post“ nennt Trumps Wahlkampfmethoden „einen gefährlichen Trick, um die Demokratie zu destabilisieren“ . Denn bei seinen Auftritten hat Trump Waffenbesitzern schon nahegelegt, sie könnten seine Konkurrentin auch anders zur Räson bringen. Und er spricht, je schlechter seine Umfragewerte, davon, dass allein Betrug ihn um den Sieg bringen könnte. Das ist eine Art Aufruf an seine Anhänger, im Falle des Falles das Recht in die eigene Hand zu nehmen.
Damit erinnert er an einen anderen Mann, der über Leichen ging, um ins Weiße Haus zu gelangen, wenngleich dieser Präsident smarter und gebildeter erscheint als der Kandidat der Republikaner. Er erinnert an die Tricks und Manipulationen von Francis Underwood, dem US-Präsidenten aus der Serie „House of Cards“.
„Demokratie wird reichlich überbewertet“, lautet einer seiner besten zynischen Sprüche. Das glaubt Trump vermutlich auch, solange die Demokratie ihm nicht den gebührenden Sieg beschert. Solcher Irrsinn war eigentlich amüsant. Er fand ja nur im Fernsehen statt. Bisher.
Ein Wahlkampf in aller Schärfe: die Kontrahenten Donald Trump und Hillary Clinton
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