Es ist Tag drei nach der amerikanischen Wahl und es sind noch immer überschaubar wenige Tatsachen bekannt. Erstens: Donald Trump ist zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt worden. Zweitens: Offenbar störte sich fast die Hälfte der Wähler nicht an seiner sexistischen, chauvinistischen und rassistischen Rhetorik. Auch Frauen nahmen daran keinen Anstoß und stimmten für ihn. Drittens lagen die Meinungsforschungsinstitute mal wieder daneben.
Das war es auch schon mit den Gewissheiten. Deshalb will auch ich nicht irgendwas abschließend zu erklären versuchen, sondern ein paar Gedanken und Fragen teilen. Denn dass diese Wahl so ziemlich alle angeht, ist viertens noch so eine Gewissheit.
1. Es waren zwar die Amerikaner, die ihren Präsidenten gewählt haben, aber ihre Wahl hat Konsequenzen für die ganze Welt. Dass die baltischen Staaten sowie die Ukraine und Polen sich Sorgen machen, ist aus ihrer Sicht verständlich: Trumps Äußerungen im Wahlkampf ließen Zweifel an der amerikanischen Solidarität mit diesen Ländern aufkommen. Aber zunächst sind die Amerikaner gefragt, mit dieser Schockerfahrung zu leben: Es müssen jene das Ergebnis aushalten, die nicht wollten, dass in den kommenden Jahren ein Mann ihr Land regiert, der den Hass in der politischen Auseinandersetzung salonfähig gemacht hat. Sie müssen einen Weg finden, dieses gespaltene Land wieder zusammenzuführen, den Diskurs zu zähmen. Daran Anteil zu nehmen, wäre gut. Es zur eigenen Leiderfahrung zu machen, wäre übergriffig.
2. Diese Wahl wird Europa verändern. Den Populismus hat man gern den östlichen EU-Staaten angelastet, diesen Polen und Ungarn und Tschechen, von denen im Westen manche schon immer insgeheim der Meinung waren, dass diese „Osteuropäer“ nie die Reife westlicher Demokraten erreicht und deshalb eigentlich nie die Aufnahme in die EU verdient hätten. Sicher, Berlusconi, Strache, Le Pen, Petry sind Politiker westlicher Prägung, aber erst mit Trumps Sieg wird vollends klar, dass Populismus keine Frage der Geografie ist. Doch nicht nur das Denken über Europa wird sich verändern, sondern auch Europas Rolle. Der Krieg in der Ukraine wird dann die erste von vielen Konfliktsituationen gewesen sein, die die Europäer selbst lösen müssen, weil die Amerikaner es womöglich nicht mehr wollen.
3. Für die Medien hat diese Wahl Folgen, aber welche? Welche Rolle haben sie bei diesem Wahlkampf gespielt? Haben sie Trump verharmlost? Die Lebenswirklichkeit der Wähler tatsächlich nicht ernst genommen? Haben sie hinreichend aufgeklärt? Haben sie hinreichend begründet, warum es kein Eliteprojekt ist, sich gegen sexistische, rassistische und chauvinistische Rhetorik zu positionieren? Muss das überhaupt begründet, dürfen diese Grenzen verhandelt werden? Und was bedeutet diese Erfahrung über Amerika hinaus, für die Bundestagswahl im kommenden Jahr zum Beispiel?
4. Ja, es spricht einiges dafür, dass es womöglich russische Hacker waren, die in den Server der Demokraten eingedrungen sind, aber einiges spricht eben nicht dafür. Vielleicht hat dieser Leak Einfluss auf die Wahl gehabt, vielleicht aber auch nicht – auch jenseits des Konjunktivs hat Wladimir Putin dieses Wahlergebnis nicht zu verantworten. Eine Gesellschaft, die sich als frei definiert, aber ihren eigenen pluralistischen Informationsmöglichkeiten misstraut, trägt letztlich selbst die Verantwortung dafür. Die Anschuldigung „Putin war’s“ führt zu nichts – außer zu etwas Trost in den ersten hilflosen Augenblicken nach Verkündung des Wahlergebnisses.
5. Zynismus kennt keine Scham und deshalb kommt Scham in den russischen Staatsmedien nicht vor. Das hat Vorteile: Die RT-Chefin Maria Simonjan kann am Tag vor der Wahl in einem Tweet die Demokratie beerdigen, sie aber am Tag danach feiern (wenn sie denn in einem anderen Land als Russland stattfindet), ohne den Meinungsumschwung für erklärungsbedürftig zu halten. Andere russische Publizisten schwadronierten im Vorfeld, wie sich Hillary Clinton durch Manipulation und Fälschungen den Wahlsieg sichern würde, verloren aber nach dem 9. November keinen Gedanken mehr an mögliche Unstimmigkeiten.
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