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Lange hat Manfred Weber gezögert, doch der Frust über Sozialdemokraten und Liberale – im Europaparlament die bisherigen Partner von Webers konservativer EVP-Fraktion – war offenbar zu groß. Am Montagabend hat der CSU-Politiker das lange unter Verschluss gehaltene Dokument veröffentlicht, mit dem die EVP und die sozialdemokratische S&D-Fraktion ihren Pakt besiegelt hatten: Martin Schulz wird mit den Stimmen der EVP zum Parlamentspräsidenten gewählt und macht Anfang 2017 einem EVP-Kandidaten Platz.
Am Dienstag legte Weber in einer Pressekonferenz nach: Die Vereinbarung sei „glasklar“ und lasse keinerlei Raum für Interpretationen. „Jetzt erlebe ich leider Gottes, dass diese Vereinbarung gebrochen wird.“ Er habe lange gehofft, dass die Gespräche mit der S&D und der liberalen Alde-Fraktion Früchte tragen würden. „Dem war nicht so“, sagte Weber. Deshalb habe er sich entschieden, die Vereinbarung innerhalb seiner Fraktion öffentlich zu machen.
Mit der Veröffentlichung zieht Weber seinen letzten Trumpf, um Sozialdemokraten und Liberale doch noch dazu zu bewegen, am kommenden Dienstag für den EVP-Kandidaten Antonio Tajani zu stimmen. Der Schritt hat jedoch auch etwas von einer Verzweiflungstat. Webers Problem: Tajani ist umstritten, er gilt als politischer Zögling von Italiens Urpopulist Silvio Berlusconi und vielen außerhalb der EVP-Fraktion als unwählbar. Ohne die Hilfe von Sozialdemokraten und Liberalen aber wäre Tajani auf die Stimmen von Populisten und Radikalen angewiesen, um im vierten Wahlgang mit einfacher Mehrheit gewählt zu werden.
Ein Parlamentspräsident von Le Pens Gnaden?
Ein EVP-Parlamentspräsident, der sein Amt Leuten wie Frankreichs Front-National-Chefin Marine Le Pen verdankt? Weber will das unbedingt verhindern. Die Idee hinter der Vereinbarung zwischen EVP, S&D und Alde sei eine „Partnerschaft gegen den Extremismus“ gewesen, erklärte er. „Ohne die Zusammenarbeit der proeuropäischen Kräfte bekommen Radikale Einfluss auf Personal- und Sachentscheidungen.“ Sollte das geschehen, trügen Sozialdemokraten und Liberale die „volle Verantwortung“ für eine mögliche Instabilität des Parlaments.
Weber warf Sozialdemokraten und Liberalen vor, schon jetzt mit radikalen Kräften paktieren zu wollen. Gianni Pittella, Fraktionschef und Präsidentschaftskandidat der S&D, verhandle mit der Linksfraktion, die in Teilen „extrem radikal“ sei. Guy Verhofstadt, Anführer der Liberalen im Parlament, scheiterte erst am Montag mit dem Versuch, die Fünf-Sterne-Bewegung des italienischen Ex-Komikers und Eurogegners Beppe Grillo in seine Fraktion holen.Er wurde vom eigenen Fraktionsvorstand gestoppt. „Ich bedanke mich ausdrücklich beim Alde-Vorstand, dass er die Notbremse gezogen hat“, stichelte Weber.
Die Sozialdemokraten hatten den Bruch der Absprache mit der EVP damit begründet, dass sie 2014 davon ausgegangen seien, das Amt des Präsidenten des Europäischen Rats zu bekommen. Doch der Posten ging an den Polen Donald Tusk. Die Kommission wiederum führt Jean-Claude Juncker. Sollte nun Tajani an die Spitze des Parlaments gewählt werden, wären alle drei Top-Jobs der EU in Händen der Konservativen. So habe man nicht gewettet, meinen die Sozialdemokraten.
„Entscheidend ist, was geschrieben worden ist“
Weber will mit dem nun veröffentlichten Dokument das Gegenteil beweisen. Die Behauptungen, es habe bei der Absprache Verbindungen zu anderen Institutionen gegeben, seien „nicht richtig“. „Entscheidend ist das, was geschrieben worden ist.“ Mit Blick auf die Europawahl 2019 drohte er seinen bisherigen Koalitionspartnern: „Wenn man eine Vereinbarung nicht einhält, wird die EVP 2019 auch nicht mehr bereit sein, eine Vereinbarung abzuschließen.“
Zugleich betone Weber, weiterhin offen für eine Zusammenarbeit zu sein. Angesichts der „gewaltigen Aufgaben“ – Weber nannte Migration, Terrorismus, die Digitalisierung, den Binnenmarkt und die Nachbarschaftspolitik – „wollen wir die Partnerschaft fortsetzen.“ Mit einem Präsidenten Tajani werde man selbstbewusst zeigen, welche Vorteile Europa seinen Bürgern bringe. „Wir werden den Kampfanzug anziehen und gegen Populisten und Anti-Europäer in die Schlacht ziehen“, sagte Weber.
Ob solche Appelle genügen werden, um Sozialdemokraten und Liberale doch noch umzustimmen, ist jedoch fraglich. Pittella hat bisher betont, vor dem entscheidenden Wahlgang einen Rückzieher zu machen. Auch Weber nannte es „absolut ausgeschlossen“, in einem vierten Wahlgang einen alternativen Kandidaten anzubieten, der den anderen Fraktionen leichter zu verkaufen wäre.
Sollte keine Bewegung mehr in die Fronten kommen, könnte Tajani am Ende doch ein Präsident von Le Pens Gnaden werden. Zwar betonte Weber, die EVP werde „keine Stimmen von Radikalen akzeptieren“. Der Frage, ob er seinen Kandidaten Tajani dann im Zweifel untergehen lassen werde, wich Weber aus. Es werde „keine Geschäfte“ mit Radikalen geben. Doch die Abstimmung geheim – wer genau für wen gestimmt hat, wird am Ende niemand wissen.
Zusammengefasst: Im Konflikt um die Wahl des nächsten EU-Parlamentspräsidenten sind die Fronten verhärtet. Die Konservativen pochen auf die Einhaltung der Vereinbarung, dass sie den nächsten Präsidenten stellen. Die Sozialdemokraten wollen davon nichts mehr wissen. Jetzt könnten Rechtspopulisten und andere extreme Kräfte die Wahl entscheiden.
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