Ein Mann, allein vor tiefblauem Hintergrund mit dem Logo „En Marche!“ Im Rücken drei Reihen buntgemischter Anhänger – ein handverlesener Querschnitt von Frankreichs Bevölkerung, der signalisieren soll: Hier sitzt das Volk. Vor der Bühne, dichtgedrängt 15.000 aufgekratzte Fans, schwenkende Plakate, wirbelnden Fähnchen und hämmernde Musik. Ein Starauftritt.

Im Zentrum steht Emmanuel Macron, Favorit und Hoffnungsträger seiner eigenen, neuen Bewegung. Der Ex-Wirtschaftsminister beginnt mit der Verbeugung: „Was macht unsere Kraft aus, was eint uns?“, fragt Macron, blauer Anzug, blaues Hemd, blaue Krawatte. „Wir wissen, wer wir sind und wo wir hingegen. Gemeinsam schaffen wir unser Projekt – das Frankreich im 21. Jahrhundert – dank Euch.“

Für seine erste Großkundgebung hat der Präsidentschaftskandidat die Messehallen an der Pariser Porte de Versailles gewählt. Es soll eine Demonstration der Stärke sein für den Seiteneinsteiger, der vor acht Monaten die Regierung von Staatschef François Hollande verließ, seine eigne Organisation aus der Taufe hob und vor knapp vier Wochen ins Rennen um den Einzug in den Élysée startete.

Ein Mann mit Mission

Macron muss an diesem Nachmittag mehr tun, als nur seine Fans zu begeistern: Er muss sich mit konkreten Vorschlägen von der Phalanx der politischen Rivalen abgrenzen. „En Marche!“ soll sich mausern von der digitalen Graswurzelbewegung zur effektiven Wahlkampfmaschine, Programm inklusive. Macron: Ein Mann mit Mission.

„Wir wollen nicht die Linke versammeln und nicht die Rechte, sondern alle Franzosen“, verspricht er und entwirft eine Sammlungsbewegung jenseits von Parteigrenzen.

Denn die Konkurrenz ist groß: Mehr als ein halbes Dutzend Sozialisten streiten um die Nominierung, darunter immerhin Schwergewichte wie die Ex-Minister Arnault Montebourg und Benoît Hamon. Und gerade erst sechs Tagen im Rennen ist Ex-Premier Manuel Valls, der angetreten ist, Macron den Alleinvertretungsanspruch auf die sozialliberale Modernität streitig zu machen.

Auch von der konservativen Opposition droht Gefahr: Die Republikaner (LR) haben mit François Fillon einen Gegner gekürt, der wie Macron eine radikale Runderneuerung der Republik verfolgt. Und schließlich umwirbt auch die Chefin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, eben jene gemäßigt-wertkonservativen Wähler, die Macron gewinnen will.

Wo bleibt da Platz für einen Kandidaten, der sich politisch gleichermaßen Rechts und Links sieht? Der von den Medien als Ausnahmeerscheinung gefeiert wird, über ein stabiles Umfragehoch verfügt – aber Mühe hat, sich als eindeutigen Gegenentwurf vom Feld der Konkurrenten abzugrenzen?

Macron, zwischen 2006-2009 bei den Sozialisten (PS), verfolgt einen Gratwandel: Seine Kandidatur ist der Versuch, Frankreichs Spaltung in die traditionellen Lager Links und Rechts zu überwinden.

Dahinter steckt die tiefe Enttäuschung über den Zick-Zack-Kurs Hollandes, dem er als ökonomischer Sherpa, als Generalsekretär im Élysée und als Wirtschaftsminister diente. „Kuba ohne Sonne“, hatte Macron einst die Reformen Hollandes verspottet. Im April kehrte er seinem politischen Ziehvater den Rücken.

„Mann in Eile“

Seither hat der „Mann in Eile“ nur noch die eigene Karriere im Blick. Sein Motor wird „En Marche!“ (EM). Der Verein beginnt als Internetadresse, potentielle Mitglieder melden sich per Email, Twitter oder Facebook an, die soziale Netzwerke bilden den Kern der Organisation, die nach eigenen Angaben mittlerweile 120.000 Mitglieder zählt. Macron verfügt zudem über den Rückhalt von drei Dutzend prominenten Politikern der Sozialisten und die finanzielle Unterstützung von Bankern und Unternehmern.

Trotz seiner Zugehörigkeit zu Hollandes Regierung wirkt der 38-Jährige mit dem scharfen Scheitel frisch, dynamisch, unverbraucht. Für seine Fans ist er quasi der Heilsbringer der Republik.

Seine Vergangenheit als Investmentbanker der Bank Rothschild? Adelt ihn bei seinen Anhängern als Kenner der Finanzwelt. Seine fehlende Karriere als gewählter Volksvertreter? Beweist ihnen nur, dass Macron kein Mann des Establishments ist. „Ich gehöre nicht zur politischen Kaste und bin froh darüber“, sagte er in einem Interview mit dem Regionalblatt „Sud-Outest“. „Die Franzosen sind dieser Kaste überdrüssig.“

Also inszeniert sich Macron als modern, cool und unkonventionell – wie die Heirat mit Brigitte Trogneux, seiner ehemaligen Literatur-Lehrerin, 24 Jahre älter als Macron. Das macht den Kandidaten zum Liebling der Hochglanz-Magazine, die er geschickt für das menschelnde „Storytelling“ seiner Image-Kampagne einzuspannen weiß.

Ein „Schutzschild“ für die Armen

Er präsentiert sich der Öffentlichkeit als Newcomer. „Frei“, „fortschrittlich“, „kompromisslos“, so Macrons Selbstbeschreibung in dem gerade erschienen Buch „Revolution“ – zugleich Autobiographie wie Politfibel. Kurz: Ein Querdenker, fern von ideologischen Dogmen.

Bislang beschränkte sich Macron auf Floskeln: Er sprach von der „Zeit der Renaissance“; er forderte „eine tiefgehende Transformation“, er wetterte „gegen die Angst, den Rückzug, den Zynismus.“ Vor seinen Fans in den Messehallen präsentiert er präzisere Vorschläge.

„Die erste Aufgabe ist eine wirtschaftliche Revolution“, sagt Macron und empfiehlt sich als „Kandidat der Arbeit.“ Sein Rezept für die „Schlacht um Investment und Jobs“: „Ich werde die Kosten für die Unternehmen senken.“

Und sonst? Die Beibehaltung der 35-Stunden-Woche, einen engeren Dialog der Sozialpartner, mehr Eigenverantwortung für die lokalen Verwaltungen, Autonomie für Universitäten und Krankenhäuser. Vor allem aber eine Umverteilung der Sozialaufwendungen, mehr Geld für die Geringverdiener. Macron: „Das Netto-Einkommen wird steigen – für alle.

Macron singt das hohe Lied auf das Engagement der stillen Mehrheit, die kleinen Angestellten, den öffentlichen Dienst, gelobt einen „Schutzschild“ für die Armen, Sicherheit für die Bürger, Autorität für die Republik, bessere Schulen, ein Recht auf berufliche Mobilität und Weiterbildung. Und bekennt sich angesichts der Globalisierung zur EU: „Wir lieben Europa!“

Mitreißend wird Macron, als er am Ende seiner zweistündigen Parforceritts noch einmal zu seinen Visionen von Frankreich zurückkehrt: „Wir glauben an die Hoffnung, unser Engagement ist wirksam und gerecht – für Frankreich.“ Mit sich überschlagender Stimme fügt er hinzu: „Nun geht hin und verbreitet unsere Botschaft, überall.“

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