Rund einen Monat nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche von Union, Grünen und FDP denkt FDP-Chef Christian Lindner wieder über die Möglichkeit eines Jamaika-Bündnisses nach. „Bei CSU und Grünen gibt es eine neue Führungsmannschaft. In neuen Konstellationen wird neu gesprochen“, sagte Lindner der „Wirtschaftswoche“. Zwar hält er dem Bericht zufolge neue Jamaika-Gespräche erst nach möglichen Neuwahlen für denkbar, dennoch sorgten seine Äußerungen für mächtig Wirbel.

So kommentiert die Presse die Jamaika-Gedanken von Christian Lindner:

„Stuttgarter Nachrichten“

Nun aber zeigt sich, dass der Überlebenskampf ganz andere politische Tugenden erfordert als der parlamentarische Alltag. Nach dem Wahlerfolg agiert Lindner erstaunlich orientierungslos. Erst lässt er die Jamaika-Gespräche platzen, ohne der Öffentlichkeit – allen schauspielerisch durchaus beeindruckenden Inszenierungen zum Trotz – einen plausiblen Grund dafür liefern zu können. Nachdem er dann wochenlang die Angst vor der Übernahme von Regierungsverantwortung als Anwandlung liberaler Prinzipientreue zu übertünchen bemüht war, kommt nun eine weitere spektakuläre Lindner-Volte. Nun kann er sich das Regieren doch wieder vorstellen – die FDP ist wieder für alles offen. Aber Neuwahlen müsse es vorher geben. So viel zur Prinzipientreue. Lindner will die FDP regierungsfähig halten, aber dieser Schwenk wirkt nur lächerlich.

„Die Welt“

Derzeit bewegen sich Union und SPD aufeinander zu. Und just in jenem Moment meldet sich Christian Lindner zu Wort und erklärt, dass das Scheitern dieser Sondierung nicht den Stab über das Koalitionsmodell als solches gebrochen habe. Sollte es zu Neuwahlen kommen, wäre es wieder eine Option. Damit schickt Lindner strategisch solide zum richtigen Zeitpunkt ein Signal an die möglichen Partner. Die sich ja auch verändert haben. Mit Robert Habeck als starkem Mann der Grünen und mit Markus Söder als Nummer eins der CSU, der in vielen Fragen der FDP näher ist als den Grünen. Schon ohne Neuwahlen würden die Sondierungen heute anders laufen als damals. 

„Münchner Merkur“

Zwischen Prinzipientreue und Verantwortungsverweigerung liegt nur ein schmaler Grat. Und ein erfahrener Polit-Alpinist wie FDP-Chef Lindner kennt die Gefahr, bei diesem Balanceakt abzurutschen. Mit seinem neuen Schachzug bringt sich Lindner aus der Gefahrenzone, und seine Partei zurück ins Spiel. Alle Optionen liegen wieder auf dem Tisch: die Groko, eine Minderheitsregierung und auch Neuwahlen. Dank der wiederbelebten Aussicht auf Jamaika kann die Union der SPD in den Sondierungen mit größerer Härte begegnen. Schon möglich, dass daraus eine neue Dynamik entsteht, das Volk ein zweites Mal an die Urnen zu rufen. Schmiedete Merkel danach ihre Jamaika-Koalition, müsste sich die FDP jedenfalls nicht den Vorwurf gefallen lassen, nicht mit vollem Einsatz für ihre Ziele gekämpft zu haben.

„Schwäbische Zeitung“

[Lindners] Jamaika-Gedankenspiele sollen jetzt als Störmanöver in Richtung Neuauflage einer Großen Koalition dienen. Quasi im Alleingang hatte der FDP-Vorsitzende seine Partei nach vier quälenden Schattenjahren und außerparlamentarischer Opposition wieder zurück in den Bundestag geführt. Doch scheint ihm der Erfolg nicht besonders gut zu bekommen. Seine taktischen Manöver und Jamaika-Wendungen erinnern an den früheren FDP-Chef Guido Westerwelle, dem lange das Etikett des Unseriösen und Unzuverlässigen anhaftete, dem die Liberalen das Etikett der Spaßpartei zu verdanken hatten. Lindners Manöver könnten die FDP noch teuer zu stehen kommen.

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