Obwohl das Völkerrecht Angriffskriege verbietet, lässt sich Wladimir Putin nur schwer der Prozess machen. Ein Vorschlag der Ukraine könnte das ändern.Es könnte so einfach sein. Überfällt ein Land ein anderes, verstößt das gegen die Charta der Vereinten Nationen (UN). Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag kann dann nicht nur wegen Völkermordes, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen tätig werden, sondern auch wegen eines sogenannten Aggressionsverbrechens – oder anders gesagt: wegen eines Angriffskrieges. Steht Russlands Präsident Wladimir Putin also bald wegen des Überfalls auf die Ukraine vor Gericht?So einfach ist es dann leider doch nicht. Denn obwohl Völkerrechtler davon ausgehen, dass es längst ausreichend Beweise gibt, um Putin und seinen Spitzenbeamten wegen eines Aggressionsverbrechens den Prozess zu machen, fehlt dem Internationalen Strafgerichtshof dazu die Befugnis. Denn Russland hat das Römische Statut nicht anerkannt, das dem IStGH zugrunde liegt. Ebenso wenig wie die USA. Auch der Haftbefehl, den der Strafgerichtshof Mitte März wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gegen Putin erlassen hatte, dürfte daher keine unmittelbaren Auswirkungen für ihn haben.Zwar könnte auch der UN-Sicherheitsrat den Strafgerichtshof mit den Ermittlungen wegen eines Verbrechens der Aggression beauftragen, doch dort ist Russland ständiges Mitglied – und dürfte die Strafverfolgung mit seinem Vetorecht blockieren. Was also tun?Ukraine drängt auf internationales SondertribunalDie Ukraine hat eine klare Vorstellung: Sie drängt darauf, dass die UN-Generalversammlung ein internationales Sondertribunal einrichtet. Dort gibt es kein Vetorecht Russlands. Vorbild für das Tribunal wären die Nürnberger Prozesse, in denen nach dem Zweiten Weltkrieg die Hauptkriegsverbrecher zur Rechenschaft gezogen wurden. „Ein dauerhafter Frieden ist nur möglich, wenn wir die Aggressoren auch zur Verantwortung ziehen“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kürzlich bei seinem Besuch des Internationalen Strafgerichtshofs. Doch der Westen zögert. Allen voran die USA.Wie das US-Nachrichtenmagazin „Newsweek“ unter Berufung auf ukrainische Beamte berichtet, schreckten die Vereinigten Staaten davor zurück, einen Präzedenzfall zu schaffen. Grund dafür seien frühere eigene Vergehen im Ausland, für die sie dann womöglich ebenfalls belangt werden könnten. Statt eines UN-Sondertribunals nach dem Vorbild der Nürnberger Prozesse sprechen sich die westlichen Partner daher für ein hybrides Modell aus.Ukrainisches Recht als Basis? Das sind die ProblemeDabei würde das Sondertribunal auf ukrainischem Recht basieren, ergänzt um „internationale Elemente“. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne), selbst studierte Völkerrechtlerin, hatte diese Option Anfang des Jahres vorgeschlagen. Die Ukraine bemängelt jedoch, dass diese Art Sondergerichtshof die rechtliche Immunität nicht aufheben würde, die führende Politiker der Welt genießen. Staats- und Regierungschefs können nur vor internationalen Gerichten angeklagt werden, nicht vor nationalen.Auch dürfte die hybride Variante weniger akzeptiert sein, wenn nicht internationales, sondern ukrainisches Strafrecht die Grundlage bildete. Der Vorwurf der Voreingenommenheit des Urteils stände unweigerlich im Raum.“Ein schreckliches Signal“Für die Verfolgung eines Angriffskriegs sei dieses Modell mangelhaft, zitiert „Newsweek“ die Rechtswissenschaftlerin Jennifer Trahan, Professorin am Center for Global Affairs der Universität New York (NYU). Es wäre „ein schreckliches Signal an andere Möchtegern-Aggressoren“, würde man Putins Immunität aufrechterhalten. Auch sie erklärt die Zurückhaltung der USA mit Angst vor Strafverfolgung für eigene vergangene Taten.Anton Korynevych, ukrainischer Botschafter für die Einrichtung des Sondertribunals, ist zuversichtlich, die Skeptiker noch überzeugen zu können. In seinen Augen würde ein internationales Gericht „eine sehr wichtige Lücke in der Rechenschaftspflicht schließen, die derzeit im internationalen Strafrechtssystem besteht“. Damit die UN-Generalversammlung ein Sondertribunal nach ukrainischer Vorstellung einrichten kann, braucht es genügend Stimmen. Schwierig ohne die USA und große europäische Länder, aber nicht unmöglich.Für Rechtswissenschaftlerin Trahan ist jetzt ein „Nürnberger Moment“ gekommen, sagte sie „Newsweek“. „Wir sollten es nicht vermasseln.“
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