Zeichen stehen auf Wahlkampf – Giffey muss um Amt fürchten

Zeichen stehen auf Wahlkampf – Giffey muss um Amt fürchten

Berlin – Angesichts der mit großer Wahrscheinlichkeit nötigen Wahlwiederholung in Berlin steht die rot-grün-rote Koalition mit der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) vor einem Spagat: Einerseits muss sie in Zeiten von Energiekrise und hoher Inflation wichtige Entscheidungen treffen – andererseits muss sie sich auf einen vorzeitigen neuen Urnengang vorbereiten. Die Zeichen stehen schon auf Wahlkampf und politisches Gezänk.

Eine Wiederholung der Wahl zum Abgeordnetenhaus nach dem Pannen-Debakel vor einem Jahr könnte die politischen Verhältnisse in der Hauptstadt deutlich verändern – die erst seit Ende 2021 amtierende Giffey müsste befürchten, ihr Amt zu verlieren. Beirren lassen will sie sich dadurch aber nicht, wie sie am Donnerstag deutlich machte. „Meine Aufgabe als Regierende Bürgermeisterin ist es, die Berlinerinnen und Berliner gut durch diesen Herbst und Winter zu bringen und die Energiekrise in unserer Stadt zu bewältigen“, sagte sie.

Warnung vor Stillstand

„Das letzte, was die Berlinerinnen und Berlin jetzt brauchen, ist gegenseitige Wahlkampfblockade“, warnte Umwelt- und Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne), die Giffeys Stellvertreterin im Senat ist und im Falle einer Wahlwiederholung gute Chancen auf das Rote Rathaus hätte. „Wir stehen vor einem heftigen Krisenwinter und tragen als Senat die Verantwortung dafür, dass wir jetzt nicht in einen Stillstand geraten.“

Am Mittwoch hatte der Verfassungsgerichtshof bei einer mündlichen Verhandlung zur Gültigkeit der Wahl am 26. September 2021 überraschend deutlich eine komplette Wiederholung in Betracht gezogen und die Politik damit aufgeschreckt. Bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl habe es eine Vielzahl schwerer Wahlfehler gegeben, erklärte Präsidentin Ludgera Selting die vorläufige Einschätzung des Gerichts, die noch kein Urteil bedeutet.

Sie nannte eine schlechte Vorbereitung wie zu wenig Wahlurnen sowie am Wahltag selbst unter anderem fehlende, falsche oder sogar kopierte Stimmzettel oder flächendeckendes Wählen noch nach 18.00 Uhr als Ursachen. Verantwortlich für das Desaster seien die Landeswahlleitung und der Senat, hier vor allem die für das Thema Wahlen zuständige, SPD-geführte Innenverwaltung. Das Urteil soll bis Ende des Jahres gesprochen werden, spätester Wahltermin wäre dann Ende März 2023.

Giffey bei Wahl „nicht in politischer Verantwortung“

Eine komplette Wahlwiederholung in einem Bundesland aufgrund von Wahlfehlern gab es bisher nur 1993 in Hamburg. „Unsere Aufgabe ist es, zukünftige Wahlen so vorzubereiten, dass sie reibungslos ablaufen und solche Fehler nie wieder passieren“, sagte Giffey. Dafür werde nun alles getan. Und sie vergaß nicht darauf hinzuweisen, dass sie zum Zeitpunkt der vorigen Wahl „nicht in politischer Verantwortung“ gewesen sei.

Bei der Wahl im Vorjahr hatte die frühere Bundesfamilienministerin Giffey das Ruder für die seinerzeit kriselnde SPD gerade noch so herumgerissen und einen knappen Sieg vor Grünen und CDU eingefahren. In einem möglichen Wahlkampf müsste sie dieses Kunststück nach jetzigem Stand wiederholen. In zwei kürzlich veröffentlichten Umfragen liegt die SPD nur noch auf Platz drei hinter Grünen und CDU, auch Giffeys persönliche Zustimmungswerte sind demnach im Keller.

Auf Wahlkampfmodus gestellt

Unterdessen stellen jene Parteien, die bis zur klaren Ansage des Gerichts eher von einer Wiederholungswahl in wenigen Wahlkreisen ausgegangen war, ihre Planungen auf eine komplette Wiederholung um. Und schalten in den Wahlkampfmodus.

„Wir sind bereit zu starten, sobald ein Wahltermin bekanntgegeben ist“, sagte Linke-Landesgeschäftsführer Sebastian Koch. „Für einen künftigen Wahlkampf ist die SPD gut gerüstet“, erklärte eine Sprecherin der Partei Giffeys. Die CDU bereitet sich nach den Worten ihres Generalsekretärs Stefan Evers schon länger auf einen neuen Urnengang vor, sie hat zum Beispiel Vorabsprachen mit Dienstleistern wie Druckereien getroffen. „Wir gehen den seit Monaten eingeschlagenen Weg weiter und erhöhen die Schrittzahl noch einmal.“

Ein Kraftakt für die Parteien dürften die verfrühten neuen Wahlkampfkosten sein, die sowohl Linke als auch CDU auf zuletzt um die eine Million Euro bezifferten. Finanziell sei das Ganze eine „ziemliche Katastrophe“, heißt es unter der Hand. Offiziell erklärten die Parteien, die Mittel würden aufgebracht, notfalls aus Rücklagen.

Wie ein neuer Wahlkampf den politischen Betrieb lähmt, bleibt abzuwarten. In einer Stadt mit vielen sozialen Problemen wäre das im Moment besonders fatal. Die Vorstellung massiven Parteienstreits und heftiger Auseinandersetzungen im Wahlkampf, während Menschen in Wohnungen womöglich frieren, dürfte den wenigsten gefallen.

© dpa-infocom, dpa:220928-99-936477/6

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