Die TV-Debatte vor der Bundestagswahl gehört traditionell zum öffentlich-rechtlichen Hoheitsgebiet. Umso erstaunlicher, dass man bei ARD und ZDF beim zweiten Triell nicht wirklich in der ersten Reihe saß.
Es ist noch nicht so lange her, da warben die beiden öffentlich-rechtlichen TV-Systeme in Deutschland mit dem Slogan: „Bei ARD und ZDF sitzen Sie in der ersten Reihe“. Auch wenn der Claim mitunter verhöhnt wurde („Bei ARD und ZDF reihern Sie auf die ersten Sitze“): Zumindest in Sachen Nachrichten- und Informationskompetenz gelten die beiden Dickschiffe nach wie vor als Platzhirsch. Hier gehen die Bundeskanzler hin, wenn Sie eine Botschaft zu verkünden haben, so wie Angela Merkel zuletzt im Frühjahr 2020, als sie vor der Bedrohung durch die Coronapandemie warnte („Die Lage ist ernst. Nehmen Sie sie auch ernst“). Und auch das Rede-Duell bzw. inzwischen -Triell gehörte in der Vergangenheit schon aus Gewohnheit zum Hoheitsgebiet von ARD und ZDF.Triell 2 TV-Kritik 7.07h
Umso erstaunlicher, dass der gestrige Abend bei den Zuschauern eher für Pleiten, Pech und Pannen in Erinnerung bleiben dürfte als für präzise Fragen, forsches Nachhaken und überraschende Zuspitzungen. Erst rummste es gewaltig, als sich Annalena Baerbock zu einem möglichen Dreierbündnis mit SPD und Linken äußerte. Dann lief die Redezeit-Uhr für Olaf Scholz weiter, obwohl der SPD-Kandidat sein Statement längst beendet hatte. Vor allem aber wirkte das Moderatoren-Duo, bestehend aus ZDF-Talkerin Maybrit Illner und ARD-Chefredakteur Oliver Köhr, nur selten so, als sei es Herr des Verfahrens. Die Fragen wirkten streckenweise erratisch und zusammenhangslos. Die Übergänge zwischen den einzelnen Themenblöcken abrupt und ohne Überleitung. So wurde etwa das Corona-Thema zunächst vom Komplex Digitalisierung unterbrochen, ehe es dann erneut um Learnings aus der Pandemie ging. Und auch der Einstieg in die TV-Debatte, als die Kandidaten zu Koalitionsaussagen gebracht werden sollten, war erwartbar zäh, weil sich natürlich niemand aus der Reserve locken ließ. Allesamt Dinge, die eine eingespielte Redaktion eigentlich hätte verhindern können.FS After-Triell bei Wein Bier Currywurst 11.55
Gerade das Zusammenspiel zwischen Illner und Köhr funktionierte nicht gut. Mehrfach fielen sich die beiden ins Wort, so als ob es an Absprachen gefehlt hätte. Vor allem Köhr wirkte am Anfang regelrecht übermotiviert. Ob es wirklich eine so glückliche Entscheidung gewesen war, als gerade mal vier Monate amtierender ARD-Chefredakteur vor die Kamera zu gehen? Auch von den versprochenen „Überraschungsmomenten“, die im Vorfeld der Debatte angekündigt waren, keine Spur. Es sei denn, man lässt das überraschte Mienenspiel von Maybrit Illner als solche gelten, wenn ihr Moderationskollege ihr wieder einmal das Wort abgeschnitten hatte.
Auf Twitter kursiert ein Zusammenschnitt, wo es spöttisch heißt, das die beiden Moderatoren untereinander das wahre Duell ausgefochten hätten.
Nein, es war kein glücklicher Abend für ARD und ZDF. Gerade auch, weil vor 14 Tagen ausgerechnet der Konkurrent von RTL das erste Triell pannenfrei über die Bühne gebracht hatte. Die Sendung war mit Spannung erwartet worden, weil der Kölner Privatsender zuletzt angekündigt hatte, sich im Bereich Nachrichten und Information neu aufzustellen (Hinweis der Redaktion: RTL gehört wie auch der Verlag Gruner+Jahr, in dem der stern erscheint, zum Bertelsmann-Konzern. Zum 1. Januar 2022 wird die Mediengruppe RTL-Deutschland die deutschen Magazingeschäfte und -marken von Gruner+Jahr übernehmen). Und im direkten Vergleich strahlte das RTL-Duo bestehend aus Pinar Atalay und Peter Kloeppel die Ruhe und Souveränität aus, die man eigentlich von den News-Dickschiffen von ARD und ZDF erwartet hätte.
Immerhin: Die anschließende „Anne Will“-Sendung in der ARD rückte die Info-Hierarchie für die Öffentlich-Rechtlichen dann wieder einigermaßen. Dort saßen tatsächlich mit Gästen wie Jens Spahn, Malu Dreyer und Katrin Göring-Eckardt ein paar Polithochkaräter, die versuchten, für ihre Partei die Deutungshoheit über die Debatte zu erlangen. Eine deutlich stärkere und auch politisch relevantere Runde, als sie RTL mit Günther Jauch und Motsi Mabuse aufzubieten hatte.
Fazit: Beim Blick aufs Spiel diesmal eher Stehplatz als erste Reihe. Aber immerhin: Die Wurst danach war okay!
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